piwik no script img

Ohrfeige für die große Koalition

Wahlbeteiligung auf historischem Tief, Verluste für die Koalitionäre von SPD und CDU: Richtig erfreulich sind die Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein nur für die kleinen Parteien ausgegangen – inklusive der Grünen und der NPD

VON ESTHER GEISSLINGER

Eine Geburtstagsfeier in Kiel, am Abend vor dem für Schleswig-Holstein wichtigsten politischen Ereignis dieses Jahres, der Kommunalwahl. Zwischen Häppchen und Schlückchen die Frage: „Und, schon entschieden, was ihr wählt?“ Die Reaktionen schwanken zwischen Staunen und Ratlosigkeit: „Ach, morgen ist die Wahl? Hab’ ich die Unterlagen eigentlich noch?“ Die Runde ist keineswegs bildungsfern oder sonst randständig – ein bisschen prekär vielleicht der eine oder die andere: Zeitverträge, Zusatzausbildungen, das Übliche halt. Eine fragt: „Was ist denn mit den Grünen hier in Kiel?“ – „Die regieren mit Frau Volquartz von der CDU.“ „Nee, echt jetzt?“ Bevor das Gespräch zu anderen Themen wechselt, die dringende Bitte: „Geht wählen, Leute – die NPD könnte reinkommen.“ Am Sonntagabend dann ist klar: Die Wahlbeteiligung lag in der Landeshauptstadt bei 46,9 Prozent, und die NPD schickt einen der ihren ins Rathaus.

Nur geringes Interesse

Schleswig-Holstein hat – nicht gewählt: So viele wie nie hätten gedurft – 2,33 Millionen Menschen –, nur 49,5 Prozent wollten auch tatsächlich. Dabei ging es durchaus um etwas: Ob in einem Ort Gemeinschafts- oder Regionalschulen entstehen; wie Kitas ausgestattet werden; um Gewerbegebiete, örtliche Verkehrskonzepte, Innenstadtbelebung. Doch das Interesse scheint gering, der Verdruss umso größer: Die absolute Mehrheit für die Partei der Nichtwähler ist eine Niederlage für alle anderen. Am stärksten verloren haben die Großen, während die kleineren – rechnerisch logisch angesichts geringer Beteiligung – Stimmen gewannen.

„Die Großen haben den Wahlkampf entpolitisiert“, sagt Robert Habeck, Landesvorsitzender der Grünen, die mit 10,3 Prozent eines ihrer besten Ergebnisse überhaupt erzielten und drittstärkste Kraft im Land wurden. Die CDU habe auf gute Laune und inhaltsleere Parolen gesetzt – sie warb flächendeckend mit dem Landesvaterbonus von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen. Die SPD dagegen habe sich zu stark auf bundespolitische Themen konzentriert, so Habeck. Die Sozialdemokraten selbst wollen nun genau analysieren, woher die niedrige Beteiligung stammt, die Landeschef Ralf Stegner als Hauptgrund für das schlechte eigene Abschneiden ansieht: Von dem historischen Tief von 2003, als sie bei 29,3 Prozent landete, rutschte die SPD nun noch weiter ab: auf 26,6 Prozent. Ziel waren dabei deutlich über 30 Prozent gewesen. Unbeirrt sah Stegner als eigentliche Wahlverliererin die CDU, die im Landesschnitt von über 50 auf 38,6 Prozent fiel: „Eine schallende Ohrfeige.“

So richtig abgewatscht wurden die Christdemokraten in den größeren Städten: In Lübeck halbierte sich ihr Stimmenanteil von 50 auf 25 Prozent, in Flensburg fiel er von 37 auf 20 und in Kiel von 44,7 auf 28,6 Prozent. Die SPD allerdings profitierte davon nicht: Sogar in Kiel, wo sie mit 31,3 Prozent stärkte Kraft wurde, hat sie leicht verloren, in Lübeck ging es von 32 auf 28,8 Prozent zurück. Dramatisch sieht es in Flensburg aus: Mit 15,9 Prozent sind die Sozialdemokraten hier nur noch viertstärkste Partei.

Erfolg mit lokalen Themen

Dagegen hielt die Minderheitenvertretung der Dänen und Friesen, der Südschleswigsche Wählerverband (SSW), ihr Ergebnis von 22 Prozent, wurde aber noch überholt von der neuen Wählergruppe „Wir in Flensburg“ (WiF), der Überraschungssiegerin des Sonntags. Sie holte mit einem rein lokalen Thema – dem Protest gegen einen Hotelneubau am Hafen – zehn Sitze im Rat. Auch anderswo waren die Wählergruppen erfolgreich: Alle gemeinsam erreichten 5,1 Prozent der Stimmen, fast doppelt so viel wie 2003.

Doch auch nicht-lokale Themen zogen, jedenfalls für die Linken: Ob Hartz IV bleibt, wird eben nicht im Gemeinderat auf Helgoland oder in der Stadtvertretung Neumünster entschieden, dennoch schaffte die Linke auf der Insel 16,1 und in der kreisfreien Stadt 13,2 Prozent, im Landesschnitt 6,9 – optimistisch war die Partei von fünf ausgegangen. Dabei trauen laut einer Umfrage vor der Wahl die wenigsten Wähler den Linken auch Lösungen zu. Selbst bei ihrem Kernthema, sozialer Gerechtigkeit, glaubten nur fünf Prozent der Befragten, dass die Linke etwas besser machen werde.

Die Zahlen sagen: Die knappe Hälfte der Schleswig-HolsteinerInnen, die zur Wahl ging, wählte Protest gegen Schwarz und Rot. Im bürgerlichen Lager profitierte davon die FDP, die landesweit von 5,7 auf neun Prozent zulegte, im linken Spektrum die Linke – aber auch die Grünen, denen schwarz-grün offenbar weder in Kiel noch im Hamburger Umland geschadet hat. Ganz rechts gewann die NPD, die in den Kreisen Nordfriesland, Ostholstein, Herzogtum Lauenburg sowie in Kiel antrat und in Kiel sowie in Lauenburg je einen Kandidaten durchbrachte.

Wackelige Mehrheiten

Schwierig wird es nun, Mehrheiten zu finden: In Kiel sitzen mit SSW und NPD sieben Parteien im Rathaus. Die schwarz-grüne Koalition ist rechnerisch tot, obwohl die Grünen zulegten. Rot-rot hat die Kieler SPD-Fraktionschefin Cathy Kietzer ausgeschlossen – sie wird also um die FDP buhlen müssen. In Flensburg könnte der SSW auf wechselnde Mehrheiten nach dänischem Modell setzen. Auch in Lübeck gibt es dank zweier Wählergruppen nun sieben Fraktionen im Rat. Bunter sind auch viele Kreistage geworden.

Auf Landesebene berieten am Montag CDU und SPD die Ergebnisse. Das Klima in der großen Koalition wird wohl nicht besser werden – schon am Wahlabend stritten Carstensen und Stegner vor laufenden Kameras.

inland SEITE 7

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen