: Politische Bundesjugendspiele
Tausende junge Menschen aus ganz Deutschland treffen sich bei „Berlin 08“ zur Übung in praktischer Politik. Das dreitägige Festival in der Wuhlheide kombiniert Spaß und Engagement, mit Erfolg
Christin Hustedt und Franziska Landmann (beide 22) aus Salzwedel: „Wir sind schon seit Donnerstag in Berlin. Am Freitag haben wir von dem Festival nicht so viel mitbekommen, wir waren am Abend vorher feiern … Na ja, wir haben uns einen Überblick verschafft und den Bandcontest angesehen. Heute Nachmittag gehen wir zum Breakdance, später wollen wir noch einen Film schauen. Aber eigentlich sind wir wegen den Veranstaltungen über Rechtsextremismus hier, das ist bei uns in der Region ein Thema. „Frauen im Rechtsextremismus“, den Vortrag werden wir uns anhören. In Salzwedel gibt es einen Verein, „Aktion Musik“, die fördern lokale Bands und haben jetzt den zweiten Sampler gegen rechts rausgebracht. Da sind wir schon engagiert. Aber hier wollen wir noch mehr Anregungen kriegen, was wir bei uns tun können.“
VON GEORG FAHRION
Vor dem Themenzelt Rechtsextremismus steht ein junger Mann im schwarzen Dreiteiler. Er trägt das Haar säuberlich gescheitelt, Buttons am Revers, rote Armbinde. Im weißen Mittelkreis der roten Flagge, die er an seinem Stand befestigt hat, prangt ein schwarzes Symbol. Hat sich da ein Neonazi auf das Jugendpolitikfestival „Berlin 08“ geschmuggelt? Mitnichten. Das Symbol ist kein Hakenkreuz, es ist ein stilisierter Apfel. Der Agitator Sebastian Jabbusch kommt von der antirechten Satiregruppe „Front Deutscher Äpfel“, die ihren Mitmenschen den Genuss deutschen Obstes und den Verzicht auf Südfrüchte ans Herz legt.
Auch mittels solch spaßiger Aktionen will „Berlin 08“ jungen Menschen Lust auf Politik machen. Von Freitag bis Sonntag fanden mehr als 600 Einzelveranstaltungen im Freizeit- und Erholungszentrum (FEZ) Wuhlheide statt. 11.000 Teilnehmer haben die Veranstalter gezählt.
Ana Correia (25) aus Luxemburg: „Am Freitag habe ich selber einen Workshop gegeben, über Gender. Aber klar, ich gucke mir auch andere Sachen an. Gestern war bei einer Veranstaltung über Homophobie und Sexismus im Hiphop, heute Morgen beim Improtheater, nachher gehe ich zu Terre des Femmes, zu einem Vortrag über weibliche Genitalverstümmelung in Afrika. Es gefällt mir gut hier, ist das erste Mal, dass ich auf so einem Festival bin. Ich bin überrascht, dass so viele Leute da sind. Mein Workshop hat am Freitag um 17 Uhr angefangen, und die offizielle Eröffnung war ja erst eine Stunde später. Trotzdem sind mindestens 15 Leute gekommen. Die sagen, ich verzichte auf das Bier oder die Musik und gehe lieber zum Workshop. Das ist richtig geil.“
Auf 24 Regionalkonferenzen in ganz Deutschland hatten sich 350 Jugendliche an der Planung beteiligt und ein Programm mit den Schwerpunkten Afrika, Rechtsextremismus, Israel und Migration auf die Beine gestellt. Dazu kamen Sportangebote und Konzerte. „Hier sollen Engagement und Spaß zusammenkommen“, sagte Gerd Hoofe, Staatssekretär im Bundesfamilienministerium. Das hat „Berlin 08“ mit 1,2 Millionen Euro gefördert.
Im Rechtsextremismus-Zelt erarbeiten ein knappes Dutzend Teilnehmerinnen mit Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung Konzepte gegen rechte Umtriebe in den Kommune. Sie simulieren ein Bürgertreffen in der sächsischen Gemeinde Reinhardtsdorf-Schöna, wo die NPD in den vergangenen Kommunalwahlen ein Viertel der Stimmen eingefahren hat.
„Ich als autoritärer Bürgermeister hab ja jetzt den Jugendclub geschlossen. Ich denke, damit ist das Problem erledigt“, sagt Mitspieler Jabbusch, der sichtlich Spaß an seiner Rolle hat. Lea, für eine halbe Stunde CDU-Mitglied, wünscht sich Aktionen auch gegen Linksextremisten. Die Diskussion kommt in Gang, schließlich gesteht der störrische Bürgermeister verstärkte Aufklärungsarbeit zu. „Das ist ja rein präventiv“, protestiert ein fiktives SPD-Mitglied. „Damit erreicht man nicht diejenigen, die schon in der Szene drin sind.“ Und was ist mit Anzeigen gegen rechte Schläger? „Die Angst überwiegt bei mir schon, die Nazis bleiben ja im Ort“, sagt eine Fränkin, die das Opfer spielt.
Marvin Schulz (15) aus Marschacht in Niedersachsen: „Marschacht liegt in der Nähe von Krümmel, wo das Atomkraftwerk ist. Nirgendwo gibt es mehr Leukämiefälle. Das ist auch ein Grund, weshalb ich hier bin. Wir sind mit der ganzen Klasse da, sogar zwei Lehrer haben wir überredet. Auf dem Campingplatz hab ich schon ein paar coole neue Leute kennen gelernt. Heute war ich beim Demo-Training, das war sehr gut. Ich will nämlich in Zukunft auf Demos gegen rechts gehen. Und bei den Parteien hab ich vorbeigeschaut – bei den Linken, den JuLis und bei der Jungen Union. Wo ich mich engagieren will, weiß ich noch nicht genau. Ich muss erst mal gucken, ob ich hinter deren Grundsätzen stehe. Ist wirklich super, das Festival –das kann man ja auch an meiner Stimme hören. Bei Culcha Candela gestern Abend hab ich mich heiser gerufen.“
Am Ende einigt sich die Gruppe darauf, ein neues Jugendzentrum zu eröffnen und einen Sozialarbeiter einzustellen. Bei einem Marktplatzfest soll sich der Bürgermeister mit den Opfern rechter Gewalt solidarisieren. Reinfrank ist zufrieden: Andere Workshops hätten mit dem Vorschlag geendet, afrikanische Trommelkurse zu organisieren.
Auf den flachen Stufen vor dem FEZ pausieren derweil ein paar Sonnenhungrige. Ein junger Mann in Baggy-Shorts zieht seine Freundin mit Knutschfleck am Hals an zwei Demonstranten vorbei, die ein Transparent hochhalten: „Vegan & bio: Klima prima, Tiere frei und alle satt“ steht darauf. Eine Blaskapelle spielt Popsongs. Punks schlendern vorbei, Jugendliche im hellgrünen T-Shirt der Organisatoren eilen hierhin und dorthin. Auch eine Gruppe blumenbekränzter Mädchen in sorbischer Tracht hat es auf das Festival verschlagen. Eine dunkel gelockte Aktivistin verteilt Postkarten, mittels derer sich gegen die Patentierung von Aids-Medikamenten protestieren lässt. Und Jabbuschs Apfel-Buttons finden großen Anklang: Wieder ein paar Sympathisanten für die gute Sache rekrutiert.
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