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Und jetzt?

Frankreichs Trainer Raymond Domenech sagt vor dem entscheidenden Spiel gegen Weltmeister Italien, er sehe „keinen Grund, zuversichtlich zu sein“

BERN taz ■ Raymond Domenech ist ein Zyniker, der Journalisten wahlweise mit Verachtung straft oder sich über sie lustig macht. Manchmal sind seine Statements aber auch mit hintergründigem Witz gesegnet. Wie vor dem Spiel gegen die Niederlande, als Domenech gefragt wurde, ob es ihn tangiere, dass die Partie an einem Freitag, den 13., ausgetragen werde. „Ich bin nicht abergläubisch“, antwortete Frankreichs Trainer, „das bringt nur Unglück.“

Das schöne Bonmot wurde von der Realität eingeholt. Das 1:4 im Berner Stade de Suisse ist die schwärzeste Stunde der Equipe Tricolore in der EM-Geschichte. Bei einer WM verlor sie so hoch zuletzt 1958, 2:5 im Halbfinale gegen die grandiosen Brasilianer mit dem 17-jährigen Pele.

Nun bekamen sie es wieder mit einem außergewöhnlichen Gegner zu tun, der den Vizeweltmeister mit atemberaubenden Hochgeschwindigkeitsattacken zerlegte. Uefa-Präsident Michel Platini hatte seine Mitspieler von 1984, die er damals mit neun Toren zum EM-Triumph geführt hatte, zum Wiedersehen im Uefa-Hauptsitz in Nyon eingeladen. Nun musste er auf der Tribüne mit ansehen, wie die Generation 2008 unterging.

Doch so klar, wie es das Resultat vorspiegelt, war die Unterlegenheit nicht. „Es war frustrierend“, sagte Sidney Govou, „wir haben das Spiel gemacht, aber sie waren effektiver und haben uns ausgekontert.“ Der notorische Grantler Domenech tat sich schwer, den Sieg des Kontrahenten anzuerkennen: „Du brauchst Glück, aber unser Gegner hatte Glück. Wenn du nicht durchschlagkräftig genug bist, wenn der gegnerische Torwart so gut ist, und wenn der Schiedsrichter gegen dich ist, passiert so etwas.“ Immerhin, einen lobenden Satz rang sich Domenech dann doch noch ab: „Wer Italien und uns mit drei Toren Unterschied schlägt, hat auch Qualität.“

Die Aussagen zeugen nicht nur von Hochmut, sie enthalten auch Wahrheit. Die Franzosen hatten nach der frühen Führung der Holländer das Spiel bestimmt und sich gute Möglichkeiten erspielt. Deshalb war eine Niederlage – vor allem in dieser Höhe – für Thierry Henry „schwer zu akzeptieren“. Frankreichs Star hatte das Gefühl, „die Niederlande sind verwundbar“ und empfand es als „komisch, weil wir so viele Chancen hatten und dennoch nicht zurückgekommen sind“.

Er verschwieg aber, dass Frankreich die Klasse von einst vermissen lässt. Mit Franck Ribéry haben sie einen Wirbelwind, der herausragt. Doch hinter den Aktionen der Franzosen ist kein Plan zu entdecken. Es fehlt ein Stratege, der das Spiel lenkt und das Tempo variiert. Mit Zinedine Zidane haben les Bleus ihren Spiritus Rector verloren. Zudem ließ Henry in der 54. Minute die große Ausgleichschance mit einem Lupfer über das Tor ungenutzt. Eine Chance, die er sich an guten Tagen nicht entgehen lässt.

Nach einem Remis und einer Niederlage taumelt Frankreich beim Gipfeltreffen gegen Italien (Dienstag, 20.45 Uhr) am Abgrund: Vor der Neuauflage des WM-Finals 2006 stehen die Niederlande als Gruppensieger fest und können entscheiden, ob Rumänien als Zweiter überlebt, während Italien und Frankreich als Dritte und Vierte nach Hause fahren müssen. Ein spektakuläres Szenario, das die Kräfteverhältnisse über den Haufen werfen würde. Die Widersacher wissen um ihre Lage. Domenech sieht „keinen Grund, zuversichtlich zu sein. Wir müssten schon sehr optimistisch sein, um zu glauben, die Niederlande gewinnen gegen Rumänien.“

Am Morgen nach dem Untergang berichtete Domenech von einer „Nacht ohne Schlaf. Ich habe immer wieder zu verstehen versucht, habe das Videoband nach vorne und wieder zurückgespult – das ging bis morgens um fünf Uhr.“ Dass auch sein Job auf der Kippe steht, tangiert den 56-Jährigen nach eigener Aussage peripher. „Ich denke jetzt nur an das nächste Spiel“, sagte Domenech im Stade de Suisse: „Es ist in diesem Moment nicht wichtig, wer hier Trainer ist.“

FELIX MEININGHAUS

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