: „Seelsorgerlich nicht vertretbar“
Elisabeth Motschmann ist CDU-Politikerin, Ex-Kulturstaatsrätin, Theologin – und Gattin des langjährigen Pastors von St. Martini. Ein Gespräch über das dort geltende Kanzelverbot für Frauen
ELISABETH MOTSCHMANN, 55, war 16 Jahre Vize-Vorsitzende der Bremer CDU. Heute ist sie Chefin des Landesausschusses der Partei.
Interview: Henning Bleyl
taz: Frau Motschmann, Sie sind kirchenpolitische Sprecherin der CDU und Mitglied der St.-Martini-Gemeinde, die es einer Pastorin unter Verweis auf Timotheus 2,12 – „einer Frau gestatte ich es nicht, dass sie lehre“ – untersagt, Talar zu tragen und die Kanzel zu besteigen. Überrascht Sie dieses Predigtverbot?
Elisabeth Motschmann: Ja. Vor allem finde ich es seelsorgerlich nicht vertretbar, dass so ein theologischer Streit am Tag einer Beerdigung begonnen wird, wo die Betroffenen nun wirklich andere Nöte haben.
Sie haben sich jahrelang für eine konservative Rollenzuordnung und die Trennung von weiblichen und männlichen Betätigungsfeldern stark gemacht. Ist ein theologisches Primat des Mannes nicht die konsequente Fortschreibung eines solchen Weltbildes?
Das sehe ich nicht so, dagegen steht auch meine eigene Biographie. Ich habe ein positives Verhältnis zur Frauenordination. Es kommt schließlich auf den Text an, nicht auf die Textilien. Entscheidend muss sein, dass das Evangelium lauter und rein verkündigt wird.
Ist es als Mitglied einer „bibeltreuen Gemeinde“ denn konsequent, schwierige Bibelstellen „auszuklammern“ – müsste man dann nicht die gesamte „Wortgläubigkeit“ in Frage stellen?
Man kann bibeltreu sein, ohne alles eins zu eins umzusetzen. Wenn wir krank sind, gehen wir heute selbstverständlich zum Arzt und nicht „zu den Ältesten“ – obwohl der Jakobusbrief 5,14 dazu auffordert. Es gibt in der Bibel Handlungsanweisungen, die nicht mehr in unsere Zeit passen, wozu eben auch „die Frau sei still in der Gemeinde“ gehört. Das stammt aus einer Zeit, in der Frauen nicht schriftgelehrt, sondern vor allem für das innerhäusliche Leben zuständig waren. Im Übrigen ist die Bibel ja voller Frauen, die sehr wohl geredet haben, sogar schon zu alttestamentlicher Zeit: Da ist die große Beterin Hannah oder Prophetin Debora, die eine charismatische Führerin ihres Volkes war. Selbst Maria redet durch ihr Magnificat zur Kirche bis auf den heutigen Tag.
In den 80ern galten Sie als Antipodin der feministischen Theologie und haben sich mit Alice Schwarzer in Talkshows duelliert. Hat sich Ihr Weltbild verändert?
Nach einer langen Berufstätigkeit sieht man manche Dinge nicht mehr so krass wie früher. Man lernt die Ungerechtigkeit kennen, dass viele Frauen schlechter bezahlt werden und mit mehr beruflichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Aber ich bin immer noch gegen die Gleichmacherei der Geschlechter und halte es auch für falsch, Kinder unter drei Jahren – wenn es nicht unbedingt sein muss – in Krippen zu geben.
Sie haben selbst Theologie studiert. Hätte Sie Ihr Mann, der die Martini-Gemeinde 20 Jahre lang geleitet hat, auf die Kanzel gelassen?
Die Frage hat sich nicht gestellt, weil ich so eine Konkurrenz-Situation immer vermieden hätte.
Haben Sie sich denn für eine Änderung der Gemeindeordnung eingesetzt?
Ich wusste nicht, dass dort der Predigtdienst von Frauen grundsätzlich ausgeschlossen wird, sonst hätte ich mich schon entsprechend engagiert. In St. Martini gab es mit Bärbel Witten ja durchaus schon eine hauptamtliche Pastorin.
Die Stellenbesetzung gemäß Timotheus 2 wurde im Jahr 2000, während der Amtszeit Ihres Mannes, in die Gemeindeordnung eingefügt.
Gerade dieser Satz wurde nicht von ihm eingefügt. Damals hat man die Gemeindeordnung in einem jahrelangen Prozess in vielen Punkten überarbeitet. Im Übrigen ist dieser Passus nur Teil der „Lebensordnung“, nicht der juristisch verbindlichen „Rechtsordnung“. Er bezieht sich auch lediglich auf die Berufung in das Pfarramt von St. Martini – nicht auf die Frage, ob Pastorinnen als Gäste dort predigen dürfen.
Schon in der Ära Motschmann galt die Gemeinde als konservativ-evangelikal orientiert. Wird sie jetzt „fundamentalistisch“? Immerhin bezeichnet der neue Pastor Homosexualität als „Sünde“.
Das Etikett „fundamentalistisch“ halte ich für falsch. Die Gemeinde hat eine starke reformierte Tradition, und dort ist die Frauenordination gar nicht so umstritten. Für Martin Luther war der Gesichtspunkt der Eignung ausschlaggebend. Was in Martini jetzt passiert, ist in der grundsätzlichen Ablehnung des Predigtdienstes der Frau der Schulterschluss mit der katholischen und der orthodoxen Kirche.
Dort ist ein Kanzelverbot für Frauen der Normalfall.
Niemand fragt Propst Lüttel, warum keine Frau in St. Johann predigt. Als CDU sind wir aber dazu verpflichtet, beiden Volkskirchen gegenüber loyal zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen