: Eine Reise mit Pferd
Eigentlich muss Springreiterin Meredith Michaels-Beerbaum ihren Hengst nur in ein Flugzeug stecken, das ihn und die anderen vierbeinigen Olympiateilnehmer nach Hongkong bringt. Aber „Shutterfly“ kann nicht ohne seine finnische Pflegerin reisen. Und ist auch sonst reichlich anspruchsvoll
VON ROGER REPPLINGER
Es ist halb acht. Tauben gurren, ein Kuckuck, das Pferd geht ein paar Schritte. Vor den Boxen der anderen Pferde auf dem Hof der Beerbaums in Thedinghausen bei Bremen sitzen die Pflegerinnen, trinken Kaffee und rauchen. Es ist kalt und auf den Wind könnte man auch verzichten. Meredith Michaels-Beerbaum, 38 Jahre alt, ist in Los Angeles geboren, Tochter eines Filmproduzenten und einer Schauspielerin. Dass sie mal in Thedinghausen auf dem ehemaligen Hof von Gerd Wiltfang leben würde, war so nicht vorgesehen.
Mit sieben Jahren reitet sie ihr erstes Turnier. Mit 13 wird sie ins „National Junior Jumper Championship Team“ von Kalifornien berufen, mit dem sie viermal in Folge die nationale Meisterschaft holt. „Ich war schon damals sehr ehrgeizig“, sagt sie. Sie studiert Politikwissenschaften in Princeton, „Botschafter oder so was“ will sie werden. Mit 21 Jahren schickt sie ihr Trainer George Morris zu Paul Schockemöhle in Mühlen, um dort zu lernen. „Außerdem wollte ich raus aus den USA“, sagt sie, „was von der Welt sehen.“ Ein Jahr war geplant. So ist das mit Plänen.
Bei einem Reitturnier in München lernt sie Markus Beerbaum kennen. Sie verlieben sich. 1994 wechselt Meredith zu Dirk Hafemeister nach Schwagstorf, wo Markus angestellt ist. Bald gründen beide ein eigenes Unternehmen und wechseln zu Graf Landsberg, um das Trainingszentrum in Balve zu übernehmen. 1997 kaufen sie die Reitanlage des verstorbenen Ex-Weltmeisters Gerd Wiltfang in der Nähe von Bremen: Stallungen für 50 Pferde, 32 Hektar Land. Inzwischen ist sie dreifache Rider-Cup-Gesamtsiegerin, erste der Weltrangliste, zwei Mal Siegerin im Weltcup-Finale, Europameisterin im Einzel 2007 und Favoritin für die Goldmedaille im Springreiten der Olympischen Spiele, die für die Reiter in Hongkong stattfinden.
„Shutterfly“ ist ein dunkelbrauner Hannoveraner-Wallach, 15 Jahre alt. Michaels-Beerbaum entdeckte ihn als Sechsjährigen bei einer Springprüfung der Klasse M in Rastede. Shutterfly ist nicht einfach. Er braucht immer die gleiche Box, das gleiche Spielzeug, die gleichen Menschen um sich, so viel Routine wie möglich. Sein Leben ist abwechslungsreich genug mit den vielen Reisen und den Turnieren auf allen möglichen Erdteilen.
Die 15 deutschen Olympia-Pferde – Military, Dressur und Springreiten – sollen am 25. Juli von Amsterdam mit vier Begleitpersonen, darunter zwei Tierärzte und eine Pflegerin, nach Hongkong fliegen. Die Pflegerin gehört zu „All Inclusive NRW“, dem Pferd von Michaels-Beerbaums Schwager, Ludger Beerbaum. Michaels-Beerbaum fürchtet, dass ihr Pferd da nicht mitmacht. „Wir haben ihn noch nie ohne Anu auf eine solche Reise geschickt“, sagt sie. Anu Harrila ist Shutterflys finnische Betreuerin, die ihn reitet, während er bis zum 25. Juli in Quarantäne in Warendorf ist.
Deshalb telefoniert Michaels-Beerbaum vom Sattel aus, versucht etwas zu organisieren. Ein Flug ohne Mannschaft, aber mit Anu und Tierarzt kostet 22.000 Euro. „Ich habe das Gefühl, da ist sonst niemand im Flugzeug, auf alle Fälle kein anderes Pferd“, sagt Michaels-Beerbaum. Shutterflys Ohren spielen, er wedelt ein bisschen mit dem Schweif, trabt etwas schneller, wiehert auch mal und spuckt.
Die Menschen glauben ja, sie beherrschen die Pferde. Aber es ist umgekehrt. Nach der Weltmeisterschaft 2006 in Aachen, Bronze im Einzel für Michaels-Beerbaum und Shutterfly, deren Höhepunkt ein Pferdewechsel ist, bei dem die Reiter beweisen sollen, dass sie auch mit anderen Pferden zu Recht kommen, hatte Shutterfly kein Vertrauen mehr zu seiner Reiterin.
Zweibeiner wie Jos Lansink (Belgien) und Beezie Madden (USA) waren in Shutterflys Sattel gestiegen. Der schwitzte, war nervös, stieg hoch und versuchte, die Reiter allesamt los zu werden. Michaels-Beerbaum ahnte, was in dem Pferd vorging: „Ich habe mit ihm gelitten, ich konnte irgendwann nicht mehr zugucken. Sie müssen sich das wie bei Eltern vorstellen, die sehen, wie ihr Kind in immer größere Schwierigkeiten kommt, und nichts dagegen tun können.“ Michaels-Beerbaum glaubt, dass der WM-Pferdetausch fürs Publikum „vielleicht ganz interessant ist“, für Shutterfly „ist es eine Katastrophe. Gott sei Dank kommt das nur alle vier Jahre vor.“
Nach der WM wollte Shutterfly dann sogar Michaels-Beerbaum loswerden: Wenn er einen Sattel sah, lief er weg. Nach einem halben Jahr wurde es besser. Wenn das Pferd die Abwesenheit seiner Pflegerin auf dem Flug nach Hongkong krumm nimmt, kann Michaels-Beerbaum Olympia vergessen. Dagegen sind sogar 22.000 Euro nicht mehr ganz so viel Geld.
„Alle Pferde auf diesem Niveau sind sensibel, außerordentlich, ein wenig komisch, ein bisschen besonders“, sagt Meredith Michaels-Beerbaum, „die Besten sind immer Besonders, nicht ganz normal – auch die besten Pferde.“ Sie weiß, dass Shutterfly in Hongkong alles geben wird, das hat etwas mit dem Vertrauen zu tun, das er zu ihr hat. Dieses prekäre Vertrauen, das sie nicht aufs Spiel setzen will. „Ich kenne ihn wie einen sehr vertrauten Menschen“, sagt sie, „etwa wie Markus.“ Sie weiß, dass Shutterflys Vertrauen die Grundlage für alles ist, was sie und das Pferd erreicht haben und noch erreichen werden. Sie weiß auch, dass er für Olympia mehr aus sich herausholen wird als je zuvor. „Weil er schon morgens im Stall spüren wird, dass dies ein besonderer Tag ist, er wird die Stimmung im Stadion spüren, den lauten Applaus, meine Nervosität.“ Und wie sie so redet, wird ihr klar, dass entweder Anu Harrila doch noch beim regulären Flug der deutschen Delegation mitfliegt. Oder Shutterfly und Anu und ein Tierarzt fliegen nach Hongkong. Und wenn kein anderer Passagier mitfliegt, und wenn alle Passagiere, die mitfliegen, in einer Box im Frachtraum sitzen, und es kostet 22.000 Euro, dann ist es eben so.
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