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„Sport ist die schönste Nebensache der Welt. Neben dem 1. Mai“

Innensenator Ehrhart Körting (SPD )schwimmt alle Berliner Bäder ab und drückt sogar Hertha BSC die Daumen. Denn er ist auch Sportsenator. Dabei war er als Kind mehr Bücherwurm denn Sportskanone. Jetzt will er in Peking ein Zeichen setzen – bei den Paralympics INTERVIEW: GEREON ASMUTH UND PLUTONIA PLARRE FOTOS: DETLEV SCHILKE

Ehrhart Körting geht gern in die Berliner Bäder. Mal um selbst zu schwimmen. Mal um bei Veranstaltungen wie der Meisterschaft der Rettungsschwimmer zu beobachten, wie Kunststoffpuppen um die Wette durchs Becken gezogen werden (siehe Foto oben).

Körting wird 1942 in Berlin geboren. Er hat zwei Brüder. Sein Vater ist Rechtsanwalt, die Mutter Sekretärin. Im Krieg flüchtet die Familie nach Bad Harzburg. Dort verbringt er seine Kindheit und Jugend.

In Berlin und München studiert er Jura. Anschließend ist er erst im Bayerischen Staatsministerium der Justiz, später am Bundesverwaltungsgericht in Berlin beschäftigt. Dort wird er Richter am Verwaltungsgericht. Von 1975 bis 1981 engagiert sich der SPD-Politiker in Charlottenburg in der Kommunalpolitik, zunächst als Bau-, dann als Volksbildungsstadtrat. 1981 eröffnet er in Berlin eine Anwaltskanzlei.

In der Landespolitik mischt er seit 1989 mit. Zunächst als Abgeordneter, später als Senator. Als Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs Berlin ist er im Januar 1993 an der Entscheidung beteiligt, den todkranken ehemaligen DDR-Staatschef Erich Honecker aus der Untersuchungshaft zu entlassen. 1997 wird er Justizsenator.

Nach dem Bruch der großen Koaltion wird Körting am 16. Juni 2001 unter Rot-Grün Innensenator, 2006 kommt das Sportressort dazu.

Körting wohnt in Potsdam, ist verheiratet und hat fünf Töchter. Zwei stammen aus erster Ehe. Das älteste seiner sechs Enkelkinder ist 14 Jahre alt.

taz: Herr Körting, haben Sie heute Frühsport gemacht?

Ehrhart Körting: Natürlich nicht.

Wieso natürlich?

Bei 32 Grad im Schatten mache ich keinen Frühsport.

Sonst aber schon?

Nein, sonst auch nicht. Aber ich gehe einmal die Woche schwimmen.

Wo tun Sie das?

Ich schwimme unsere Hallenbäder ab. 24 von insgesamt 37 Bädern habe ich schon geschafft. Ich möchte sie alle kennenlernen, um Sanierungsentscheidungen nicht nur vom grünen Tisch zu treffen. Ich will wissen, wie die Garderobe, die Toilettenanlage und die Kacheln aussehen.

Sie kaufen sich dann ganz normal eine Eintrittskarte …

… für vier Euro …

ziehen sich um …

… und schwimme 1.000 Meter. Das dauert 29 Minuten. Danach sag ich meistens den Schwimmeistern Guten Tag.

Erst hinterher?

Ja. Ich mach da keinen Staatsbesuch.

Sind Sie vom Bademeister schon mal ausgemeiert worden?

Mein Eindruck ist, dass sind durchweg Leute, die ihren Job mit Freude machen.

Demnach sind Sie noch nie von der falschen Seite ins Wasser gesprungen.

Das verbietet sich in meinem Alter.

Was ist Ihr bevorzugter Stil?

Brustschwimmen.

Tauchen Sie das Gesicht ein?

Nein. Ich schwimme Kopf hoch.

Das ist schädlich für den Nacken.

Aber Eintauchen ohne Schwimmbrille ist nicht gut für die Augen.

Was geht Ihnen beim Schwimmen durch den Kopf?

Ich zähle die Bahnen.

Überlegen Sie nicht, was Sie noch mit Polizeipräsident Dieter Glietsch bereden müssen?

Wenn ich schwimme, schwimme ich. Dann will ich die Seele baumeln lassen.

Warum liegen Ihnen die Bäder so am Herzen?

Die Bevölkerung wird immer älter. 80 Jahre sind heutzutage keine Seltenheit mehr. Damit stellt sich die Frage, welche körperlichen Angebote man älteren Menschen machen kann. Schwimmen spielt da eine große Rolle. Wenn ich um 7.30 Uhr morgens ins Schwimmbad gehe, begegne ich meiner Altersgruppe.

Die senile Bettflucht treibt die Rentner ins Wasser?

Nein, der Spaß am Leben!

Also brauchen wir in Zukunft mehr Bäder?

Nein, aber wir müssen die bestehenden erhalten. Die gehören mehr zur staatlichen Daseinsvorsorge als zum Beispiel ein Strandplatz in der Stadt.

Und die Jugend braucht Bolzplätze – aber die werden zunehmend dichtgemacht, weil sich die Anwohner über den Lärm beschweren.

Wir leben in einer Gesellschaft, die bereit ist den Lärm von Flugzeugen zu ertragen, aber nicht den von spielenden Kindern. Ich verstehe das nicht. Ich versteh auch die Rechtsprechung nicht, die den Anwohnern Recht gibt. Die Toleranz unserer Gesellschaft sollte größer sein.

Das ist ein schöner Appell. Was tun Sie dafür?

Als Sportsenator habe ich darauf keinen unmittelbaren Einfluss. Ich kann nur bei den Bezirken dafür werben, den forschen Forderungen von Anwohnern nicht ohne weiteres zu entsprechen.

Wo haben Sie als Junge eigentlich gebolzt?

Ich bin im Harz aufgewachsen. In Bad Harzburg hab ich auf dem Schulhof gekickt. Man konnte auch gut auf der Straße spielen. Alle halbe Stunde kam mal ein Auto durch, ein Messerschmitt Kabinenroller oder ein Goggomobil – was da eben so in Mode war.

Waren Sie eher Verteidiger oder Torjäger?

Das ist, wenn man zu viert spielt, nicht die Fragestellung.

Und wenn die Mannschaften gewählt wurden, der Wievielte waren Sie?

Bei vieren der Vierte.

Wie wichtig war Ihnen Sport?

Ich bin gern Rad gefahren. Ich bin gern gewandert.

Mit Rucksack, Papa und Mama?

Eher mit Freunden. Zu einer Hütte rauf. Da sind wir dann in den Bäumen rumgeklettert. Da muss ich so 8, 9, 10 Jahre alt gewesen sein.

So früh sind Sie schon mit Gleichaltrigen losgezogen?

Wir haben direkt am Wald gewohnt. Ich hatte keine Angst vor dem Wald. Ich habe lieber so was gemacht als gezielt sportliche Aktivitäten. Das ist bis heute so. In den Herbstferien war ich mit zwei meiner Töchter im Harz wandern. Von Hütte zu Hütte. Ohne Gepäck. Das haben wir uns anliefern lassen.

War Sport in Ihrem Elternhaus ein wichtiges Thema?

Nein. Sport war was ganz Normales, kein Programmpunkt. Ich war immer ein Bücherwurm. Mein Vater …

ein Rechtsanwalt …

… hat sehr viel Literatur gehabt, geliebt. Meine Großmutter hat sehr viel Literatur gehabt, geliebt. Ich bin von Kindheit an in Bücherbergen aufgewachsen.

Sie konnten schon lesen, als Sie zur Schule kamen?

Lesen, ja. Vielleicht Shakespeare noch nicht. Später hatte ich die üblichen Perioden. Karl May. Dann diese Groschenhefte. Irgendwann liest man die Romantiker. Dann habe ich alles von Sartre und Camus gelesen.

Wann war das ungefähr?

Vielleicht so mit 15. Das ist die Phase, wo Camus dann fragt, lohnt es sich, auf dieser Welt zu leben? Später hab ich alles von den alten Russen gelesen, dann alles von den Russen aus den 20er- und 30er-Jahren. Bücher begleiten mich mein ganzes Leben. Deshalb hab ich höchstwahrscheinlich auch einen Beruf gewählt, der viel mit Lesen zu tun hat.

Ihre Leidenschaft für den Sport ist dennoch unübersehbar. Am Abend des 1. Mai schien Sie die Übertragung des Fußballspiels Petersburg gegen Bayern München in einer Kreuzberger Kneipe mehr zu interessieren als das Geschehen auf der Straße.

Irgendwer hat mal gesagt: Sport ist die schönste Nebensache der Welt. Neben dem 1. Mai.

Bayern hat 0:4 verloren. Haben Sie mitgelitten?

Ja, aber ich bin traditionell kein Bayern-Fan.

Sondern? Hertha? Oder schlägt Ihr Herz für Eintracht aus Braunschweig, wegen der Nähe zum Harz?

Braunschweig nur mit Johannsen seinerzeit.

Mit dem Trainer Helmuth Johannsen wurde die Eintracht 1967 Deutscher Meister.

Ja. Und Hertha würde ich natürlich auch wünschen, dass sie unter den ersten drei mitspielen. Für eine Hauptstadtmannschaft gehört sich das so.

Das müssen Sie als Berliner Sportsenator ja sagen.

Nein! Ich möchte, dass in meiner Heimatstadt spannende Spiele stattfinden und sich nicht nur die Kellerkinder zusammenfinden. Als Student in München war ich absoluter 1860-Fan. Da war eine Atmosphäre im Stadion, wenn Radenkovic …

der Torwart …

… einen seiner berühmten Ausflüge bis zum gegnerischen Tor gemacht hat. Fantastisch. Bayern München war mir zu protzig und zu retortenmäßig. Als Mensch, der hauptsächlich nördlich der Mainlinie gelebt hat, war mein Verein aber der HSV.

Und Ihr politisches Herz schlug immer für die SPD?

Ich bin relativ spät eingetreten. 1971. Ich hatte damals anderthalb Jahre im Bayerischen Staatsministerium der Justiz gearbeitet und gesehen, wie der Machtapparat einer Partei funktioniert. Ich hab mir gedacht, es ist nicht gut, als freischwebender Linker allein in der Landschaft rumzulaufen.

Wie hat sich das Linkssein bei Ihnen geäußert?

Das macht sich daran fest, dass man bestimmte solidarische Fragen stärker betont. Oder seinerzeit an der Frage Verfassungstreue-Überprüfung, das habe ich abgelehnt. Ansonsten sind alle Klischees wie links oder rechts immer höchst fragwürdig. Wir müssen das an jeder Einzelfrage durchdeklinieren.

„Die Debatte über Menschenrechte und Unterdrückung nationaler Minderheiten muss geführt werden. Aber es ist falsch, sie mit der Frage zu verbinden: Dürfen deutsche Sportler an den Spielen in Peking teilnehmen“

Versuchen wir es mal mit den Menschenrechten – zum Beispiel in China.

Da halte ich es für absolut erforderlich, dass sich in China wahnsinnig viel ändert. Und zwar nicht nur bei den Menschenrechten, sondern auch bei dem Turbokapitalismus, der zu Unterdrückung und Verarmung von großen Teilen der Bevölkerung führt und zu einem Reichtum von kleinen Teilen.

Die Forderung, die Olympischen Spiele wegen der Tibetfrage zu boykottieren, haben Sie aber nicht unterstützt?

Ich habe diese Klugschwätzer überhaupt nicht verstanden, die einen Olympiaboykott befürwortet haben. Ich hab noch nie einen Industrieboss gesehen, der – nachdem er einen Handelsvertrag mit China abgeschlossen hat – sein Hemd aufknöpft und auf der Brust steht dann drauf, er sei auch für die Menschenrechte. Genau das wird aber von den Sportlern verlangt.

Soll man so tun, als wäre nichts?

Nein. Die Debatte über Menschenrechte und Unterdrückung nationaler Minderheiten muss geführt werden. Aber es ist falsch, sie mit der Frage zu verbinden: Dürfen deutsche Sportler an diesen Spielen teilnehmen.

Darf der Berliner Sportsenator an den Spielen in Peking teilnehmen?

Ich erreiche die Qualifikation nicht.

Sportlich. Aber als Politiker – fahren Sie hin?

Nein, aber nicht aus ideologischen Gründen. Wir sind durch Klaus Wowereit und den Staatssekretär Härtel vertreten. Ich werde ein paar Wochen später zu den Paralympics fahren. Der Behindertensport ist eine der Chancen, um die Selbstverständlichkeit von Behinderung zu akzeptieren. Ich finde es wichtig, dort ein Zeichen zu setzen.

Sie sind 66 Jahre alt, haben kaum graues Haar …

… das macht sich aber so langsam bemerkbar.

Dennoch: Was ist Ihr persönliches Dopingmittel?

Der Job!

Der Job?

Das war ein Scherz. Was mich jung hält, sind meine Kinder. Solange die noch versorgt werden müssen, bin ich ausreichend beschäftigt.

Groß kann der Erziehungsbeitrag angesichts Ihres Jobs aber nicht sein.

Es wäre verlogen, wenn ich jetzt sage, ich habe die Kinder viel betreut.

Sie sprechen von Ihren drei Töchtern aus zweiter Ehe. Die beiden aus erster Ehe sind schon lange erwachsen.

Trotzdem. Ich bin viel mit ihnen in den Urlaub gefahren. Wir verbringen viele Wochenenden zusammen.

Die nächste Abgeordnetenhauswahl ist 2011. Dann werden Sie 69 Jahre alt sein. Bleiben Sie der politischen Arena erhalten?

Ach, stellen Sie doch nicht solche Fragen.

Doch!

Ich bin zufrieden, wenn ich meinen Kasten bis 2011 sauberhalte.

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