: Engagement vor Gericht
Nach einem Gerangel mit der Polizei beim Jugendumweltkongress 2007 steht ein junger Aktivist vor Gericht. Seine Freunde werden aus dem Saal getragen. Der Angeklagte bleibt ungeschorenVON ANJA HÜBNER
Das Durcheinander im Gerichtssaal ist perfekt. Ein Aktivist des Jugendumweltkongresses 2007 ist angeklagt wegen Widerstands gegen Amtsträger. Ein Zeuge erinnert sich nicht mehr. Es gibt fünf Unterbrechungen. Und zwischendurch tragen Wachleute zwei Zuhörer aus dem Zuschauerraum. Dann wird das Verfahren eingestellt.
Der Anlass liegt ein halbes Jahr zurück. Über Silvester fand in Berlin-Weißensee der jährliche Jugendumweltkongress statt. 150 Teilnehmer aus halb Europa diskutierten zehn Tage lang über Gentechnik, Klimawandel, Wasserversorgung - und Widerstand. Dafür hatten die Jugendlichen eine alte Schule gemietet. Am 30. Dezember gegen Mitternacht suchten Landeskriminalbeamte das Gespräch mit den Organisatoren des Festivals, heißt es in der Anklage. Was die Zivilbeamten dort wollten, würden die engagierten jungen Leute gern wissen. Doch das ist nicht Thema vor Gericht. Die Kongressteilnehmer erklären, sie hätten in der Nacht für Umweltaktionen trainiert, bei denen sich die Teilnehmer mit roten Nasen und Umhängen verkleideten. Die LKA-Beamten forderten Verstärkung von der Schutzpolizei Weißensee an. Es kam zu Tumulten - und drei Festnahmen.
Einer der Festgenommen war Hauke T. Jetzt sitzt der 24-Jährige auf der Anklagebank. Auf seinem T-Shirt steht „Militarismus jetzt stoppen“. Seine langen Haare sind zum Zopf gebunden. Weitere Teilnehmer des Kongresses sitzen auf den Zuschauerbänken. Eine von ihnen ist Hanna P. (22). Sie wolle Hauke unterstützen, sagt sie. „Es hätte jeden von uns treffen können.“
Der Prozess ist auf eine halbe Stunde angesetzt - tatsächlich dauert er zweieinhalb Stunden. Hauke T.s Taktik ist offensichtlich: Er will den seiner Meinung nach völlig absurden Prozess verzögern. Den beantragten Pflichtverteidiger hat er nicht bekommen. Dafür reiche die Schwere der Anklage nicht aus, sagt der Richter. Stattdessen quält Hauke das Gericht mit sieben Befangenheitsanträgen. Einer richtet sich gegen die Protokollantin. Die habe nicht wortgetreu mitgeschrieben, bemängelt Hauke. Der Richter kann sich ein Lachen kaum verkneifen. Ein Befangenheitsantrag gegen die Protokollantin sei gar nicht möglich, erklärt er dem Gerichtsneuling. Der beantragt nun Pausen - mal zur Durchsicht der Akten, mal für den Toilettengang.
Die sechs Umweltaktivisten im Zuschauerraum geben ihm Tipps. Auch ungefragt während der Verhandlung. So ordnet der Richter erst 100 Euro Ordnungsgeld an, dann den Verweis aus dem Saal. Wachleute tragen zwei Zwischenrufer durch die Tür - Hanna P. ist unter ihnen.
Der Angeklagte kommt glimpflicher davon. Mit seiner Zustimmung wird das Verfahren eingestellt - zu geringfügig sei die Schuld. Und auch die Beweislage ist schwach. Der einzige anwesende Zeuge, ein Polizist der Wache Weißensee, kann sich nicht an Haukes Widerstand erinnern. Der junge Mann ist um so sicherer. Er werde auch beim nächsten Jugendumweltkongress dabei sein.
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