: Politisches Erdbeben im Saarland
Bergbaugeschädigte wollen bei den Landtagswahlen 2009 mit einer eigenen Liste antreten. Den Schaden hätten FDP und Grüne, die auch Bergwerke schließen möchten
SAARLOUIS/PIESBACH taz ■ „Mein Haus steht schief, dein Haus steht schief. Wer ist schuld, wenn die Erdbeben weitergehen, wenn wir schlaflos in den Ruinen stehen? Hört auf, Hört auf …!“ Der Chor der Interessengemeinschaft zur Abwendung von Bergbauschäden (Igab), Landesverband Saar, singt auf Veranstaltungen überall im Saarland harmonisch sein etwas anderes „Steigerlied“ – trotz der aktuellen Dissonanzen im Verband.
Denn einige Mitglieder der Organisation mit diversen Ortsvereinen wollen bei den Landtagswahlen 2009 mit einer eigenen Liste antreten. Andere – „wohl die meisten“ – seien aber dagegen, sagt der Landeschef der Igab, Peter Lehnert. Doch das Misstrauen der vielen tausend Bergbaugeschädigten gegen die etablierten Parteien bleibe „auf alle Fälle weiter groß“.
Vor gut einem halben Jahr kam es hier zu den schlimmsten Erschütterungen, die im Saarland jemals bei Grubenbeben gemessen wurden. In hunderten Häusern über dem Abbaugebiet Primsmulde Süd des Bergwerks Saar der Deutschen Steinkohle AG (DSK) bekamen die Wände Risse. Seitdem ist der Ausstieg aus dem Steinkohleabbau beschlossene Sache, nicht nur wegen der mit ihm verbundenen Gefahren. Auch die 80.000 Euro Subventionen, die das arme Saarland und vor allem der Bund pro Bergmann und Betriebsjahr an die DSK überweisen müssen, machten den von Ministerpräsident Peter Müller (CDU) mitgetragenen Beschluss, 2012 aus dem Kohleabbau auszusteigen, notwendig. Das „explosive“ Abbaugebiet Primsmulde wurde von Müller gleich geschlossen.
Doch weil im nächsten Jahr vielleicht Linke und SPD das Saarland regieren werden und Linksparteichef Oskar Lafontaine angekündigt hat, in diesem Fall alles daranzusetzen, den Ausstiegsbeschluss rückgängig zu machen, ist Bergbaugegner Lehnert alarmiert. Die SPD redet beim Bergbau inzwischen wieder von „historischen Verpflichtungen“ – und lobt angesichts der explodierenden Erdgas- und Heizölpreise den „heimischen Energieträger Kohle“. Auch hat es die CDU-Alleinregierung nicht geschafft, den rund 4.000 Bergleuten und Verwaltungsangestellten und den etwa 5.000 Beschäftigen der Zulieferer des schon geschlossenen Bergwerks Saar Ausweicharbeitsplätze im Saarland anzubieten.
Zum Schrecken von Lehnert konstatierte Linken-Landesparteichef Rolf Linsler schon Anfang August, dass der „überhastete Ausstieg aus dem Kohlebergbau ein schwerer Fehler gewesen“ sei. Auch SPD-Landes- und Landtagsfraktionschef Heiko Maas mahnte bei Müller Ersatzjobs für die Bergleute des Bergwerks Saar an – und fordert von der Landesregierung jetzt die Abbaugenehmigung für Flöze anderswo im Saarland.
Mitglieder der Igab planen deshalb jetzt die Gründung einer eigenen Partei. WUZ (Wählerinitiative Umwelt und Zukunft) soll sie heißen. Voran trieb die Gründung bislang die Familie des Ökobauern Matthias Paul aus Piesbach, einer Gemeinde direkt über dem geschlossenen Abbaugebiet Primsmulde; nur der Gemüsebauer Mattias Paul selbst ist skeptisch. Trete die WUZ tatsächlich an, schade das doch nur den Grünen und der FDP, glaubt er. Beide Parteien aber hätten die Interessen der Igab immer am vehementesten vertreten.
Auf der im September geplanten Delegiertenversammlung der Igab Saar soll jetzt eine Entscheidung fallen. Lehnert glaubt, dass ein Antrag auf Gründung einer Wählerinitiative für die Landtagswahl im Herbst 2009 abgelehnt werden wird. Grüne und FDP können dann aufatmen, mit der WUZ als Konkurrenz würden sie wohl an der Fünfprozenthürde scheitern – und die WUZ wahrscheinlich gleich mit.
KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
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