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Gärten und Gardinen

Linke Symbolik und neue Statistik: Wie der Nachbarschaftsgedanke in Friedrichshain an der Heterogenität der Bevölkerung zerbröselt. PlattenbaubewohnerInnen und ehemalige HausbesetzerInnen haben sich nämlich nicht allzu viel zu sagen

VON ELISABETH RAETHER

Im Mai 2004 beschlossen einige Anwohner der Kinzigstraße in Friedrichshain, das Brachland, auf dem einst die Häuser 11, 13 und 15 gestanden hatten, zu bepflanzen. Sie räumten den Müll weg, der sich dort angesammelt hatte, nachdem die Firma, die hier bauen wollte, Anfang der Neunzigerjahre in Konkurs gegangen war. Sie legten Gemüse und Blumenbeete an, pflanzten Bäume und kleine Sträucher und nannten den Garten Rosa Rose, weil eine rosa Plastiktüte, die sie in dem ganzen Müll fanden, ihnen wie ein Symbol der Zuversicht erschienen war.

2007 wurde das Grundstück der Hausnummer 11, wo inzwischen Blumen wuchsen und „Kinoabende, Hochzeiten und Geburtstagsfeste“ stattfanden, in einer Zwangsversteigerung an einen Investor, das mittelständische Unternehmen Gefiplan, verkauft, der dort ein Wohnhaus bauen möchte. Einer der Gläubiger des Grundstücks war das Finanzamt von Friedrichshain-Prenzlauer Berg. Die Stadt erteilte eine Baugenehmigung, im März 2008 begannen die Bauarbeiten, nachdem die Polizei die Blockade derjenigen, denen der Garten am Herzen lag, geräumt hatte.

Seither ist die Rosa Rose kein Nachbarschaftsprojekt mehr, sondern eher eine Protestaktion politisch Gleichgesinnter. Für sie sind die Ereignisse „ein deutliches Zeichen gegen das Gemeinwesen und für die Durchsetzung privater Eigeninteressen“, ein Konflikt zwischen den „StadtbürgerInnen“ und „profitorientierten Investoren“ und „ein exemplarisches Beispiel für dringend benötigte Veränderungen hinsichtlich unserer Stadtgestaltung und allgemeiner Machtverteilung“.

Auf dem Grundstück sind noch ein paar vereinzelte Pflanzen und Sträucher übrig geblieben. Daneben, hinter dem Bauzaun, wurde schon das erste Stockwerk des neuen Wohnhauses hochgezogen. Ein Baukran ragt in den Himmel.

Kettensäge vs. Sträucher

Tatsächlich entzieht man sich der Kraft der Bilder nur schwer. Die Rosa Rose hat ein Video und einige Fotos auf ihre Website gestellt. Menschen haben sich vor dem Garten postiert, sie tragen bunte Mützen und Schals, einige haben ihre Kinder mitgebracht. Ihnen gegenüber stehen die Polizisten im grünen Einsatzanzug. Eine Kettensäge zerlegt die Sträucher.

Eine zierliche junge Frau sieht mit traurigem Gesicht zu, wie der Garten Stück für Stück abgetragen wird. Ein Polizist, der sie um gut zwei Köpfe überragt, fasst sie, ohne sie anzusehen, an der Schulter und weist sie an, vom Bauzaun wegzutreten. Der Geschäftsführer der Gefiplan, der ein bisschen Übergewicht hat, sieht zu, wie die Bagger ihre Arbeit beginnen und lacht über eine Bemerkung, die der neben ihm macht.

Aber am Ende ist die Rosa Rose vielleicht nicht deshalb gescheitert, weil „ein dicker Bauch noch dicker“ werden soll, wie Frauke Hehl, eine der Initiatorinnen und Sprecherinnen des Projekts, es formuliert, während sie durch den zerstörten Garten führt. Die suggestiven Bilder, die die Rosa Rose zeigt, sind vor allem Zitate linker Symbolik – Schwerter zu Pflugscharen, Joan Baez singt: „Where have all the flowers gone?“. Das Projekt ist eher deshalb gescheitert, weil in der Kinzigstraße jener Nachbarschaftsgedanke fehlt, für den die Rosa Rose sich einsetzen wollte.

In Friedrichshain sind die Geschichten derer, die in derselben Straßen wohnen, so unterschiedlich, dass sie die Ängste, Sorgen und Lebensentwürfe ihrer Nachbarn nicht verstehen. DDR-Nostalgische wohnen neben Studenten aus Westdeutschland, Frustrierte neben denen, die glauben, die Welt verbessern zu können.

In einer Studie des Bezirksamts zur Bevölkerungsstruktur ist zu lesen, dass der Stadtteil einen schlechten Sozialindex hat: hohe Arbeitslosenquote, einen hohen Anteil von Sozialhilfeempfängern, geringes Pro-Kopf-Einkommen. Der so genannte Statusindex allerdings sei einer der höchsten Berlins: Es gibt eine außergewöhnlich gute Bildungs- und Ausbildungsstruktur, geringe Haushaltsgrößen, geringe Anteile an Kindern und Jugendlichen sowie hohe Anteile Angestellter und Selbstständiger an den Erwerbstätigen.

Die Rosa Rose war die Idee der Bewohner des Hauses Kinzigstraße 9: ein besetztes Haus, das inzwischen durch die Selbstbau eG saniert wurde. Die Bewohner haben heute reguläre Mietverträge. Die Fassade, erklärt Frauke Hehl, wurde so saniert, dass sie immer noch unsaniert aussieht. Der Putz bröckelt nicht ab, aber es sieht so aus, als würde er abbröckeln. Als Erinnerung an die Zeiten, als das Haus noch besetzt war. Aus den Fenstern hängen Transparente, die „die Freiheit aller RAF-Gefangenen“ fordern. In dieser Ästhetik, die man vielleicht als „alternativ“ bezeichnen könnte, wurde auch der Garten gestaltet. Es gab einen Bretterverschlag, der als Bar diente. Ein orangefarbener Bauwagen stand herum. Auf der Wand des angrenzenden Hauses weist eine fünfzehn Meter hohe Zeichnung darauf hin, wie viele Menschen in Deutschland jährlich abgeschoben werden. Saß man in dem Garten, standen einem in riesengroßer Schrift die Worte „Unterdrückung, Verfolgung, Vergewaltigung, Folter, Krieg, Armut, Hunger, Tod“ vor Augen.

Frauke Hehl deutet auf eine der wenigen übrig gebliebenen Zucchinipflanzen und sagt, „Ernährungssouveränität“ sei ein erster Schritt, sich mit dem „tradierten Arbeitsbegriff und dem bestehende Erwerbssystem“ zu befassen. Es gehe um „Umorientierung“ und „die Schaffung eines ganzheitlich ausgerichteten Arbeitssystems“.

Diese Ideen sind ohne Frage interessant. Um etwas Gutes in nachbarschaftlichen Beziehungen zu sehen, muss man sie aber nicht unbedingt teilen. Den Bewohnern des großen Plattenbaus, der sich gegenüber der Kinzigstraße 9 über die gesamte Länge des Blocks bis zur Schwarnweberstraße erstreckt, sind jedenfalls andere Dinge wichtig.

„Die sollten mal Gardinen aufhängen“, sagt eine ältere Dame, die dort wohnt. Sie ist nicht besonders gut zu Fuß. Sie unterhält sich mit ihrer Nachbarin aus dem Hochparterre, die zwischen ihren Topfpflanzen am Fenster steht. „Am Ende hatten sie es sich ja ganz hübsch gemacht gehabt,“ sagt sie. Aber sie sei nie rübergegangen in den Garten. „Die wollten unter sich sein. Die waren auch ein bisschen …“, sie zögert, „keimig“. Einmal, sagt sie, hätten sie auch einen Film gezeigt. „Einen englischen Film“.

Die Organisatoren der Rosa Rosa haben die Nachbarn zu den Gartenfesten eingeladen, sie haben Zettel in den Briefkästen verteilt und Schilder angebracht, auf denen „alle“ eingeladen wurden, mitzumachen. Die Nachbarn sind nicht gekommen. Während des Gesprächs sagt Frauke Hehl mehrmals, wie „hässlich“ sie die Plattenbauten auf der anderen Straßenseite finde.

Im Fachbereich Naturschutz und Grünflächen des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg will man sich zu dem Fall offiziell nicht äußern. Es sei doch ein „ganz normaler Vorgang“ gewesen, sagte eine Mitarbeiterin. Man entwerfe hier „Grünpläne“, kaufe Flächen auf, die dann begrünt werden sollen, das sei dann mit Sicherheit aber kein Bauland. Und es gehe auch darum, die vorhandenen Grünflächen zu pflegen, zum Beispiel den Volkspark am Friedrichshain, dafür fehle nämlich schon das Geld. Warum solle die Stadt, indem sie auf den Verkauf des Grundstücks verzichtet, „Millionen“ ausgeben für einen „so kleinen Nutzerkreis“?

Es ist doch schön hier

Frauke Hehl hat Architektur in Hamburg, Rom und Mailand studiert. Sie spricht fließend Italienisch. Ihr Studium hat sie nicht abgeschlossen. „Ich habe nicht eingesehen, warum. Ich habe einfach das gemacht, worauf ich Lust hatte“. Sie hat die workstation ins Leben gerufen, eine Ideenwerkstatt, die Vorträge, Beratungsgespräche und Workshops organisiert. Sie ist groß, hat einen gesunden Teint und einen energischen Gang.

Gegenüber will man die Armut hinter Spitzengardinen verstecken, und das staatsbürgerliche Selbstbewusstsein reicht nicht dafür aus, sich mit der Polizei anzulegen.

Die ältere Dame sagt: „Ich liebe meine Gegend hier. Es ist doch so schön hier.“ Neben uns bleibt eine offenbar geistig verwirrte Frau stehen, sie hebt den getrockneten Hundedreck auf, der auf dem Bürgersteig liegt, und betrachtete ihn lange in ihrer Hand. In der anderen Hand hält sie ein kleines buntes Blumensträußchen. Sie hat ein Jackett und eine passende Hose an, ihre Haare sind zu einem ordentlichen Seitenscheitel gekämmt und werden mit einer kleinen Klammer gehalten.

Vor dem asiatischen Spätkauf an der Ecke Scharnweberstraße stehen zwei Männer, sie haben ihre Bierflaschen auf dem Stromkasten am Bürgersteig abgestellt. „He“, ruft einer, „komm mal her, Mädchen, meine Frau ist grad auf Rügen.“

Es ist eine schöne Idee, die sozialen Gräben, die sich durch den Stadtteil ziehen, mit Mutterboden zuzuschütten und Blumen darauf zu pflanzen.

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