: Erst Siegesrausch, dann Kater
Den Grünen wird die Schwäche der SPD Gewinne bescheren. Trotzdem bleiben sie wohl in der Opposition – gegen zwei CDU-geführte Landesregierungen
von KLAUS-PETER KLINGELSCHMITTund JÜRGEN VOGES
Sind die beiden Hübschen auf den grünen Plakaten überall in Hessen das närrische Prinzenpaar der laufenden Kampagne? Nein. Nur das Traumpaar der grünen Partei. Sie führen als Spitzenkandidaten die Liste der hessischen Grünen für die Landtagswahlen am Sonntag an. Und Tarek Al-Wazir, 33, und Evi Schönhut-Keil, 47, dürfen sich schon jetzt ein bisschen freuen auf den Wahlabend. Und dann vielleicht sogar tatsächlich zunächst einmal auch närrisch, wenn es stimmt, was die Demoskopen voraussagen: zehn bis zwölf Prozent für die Grünen.
Ganz schön viel für eine Partei, die in den letzten vier Jahren im Landtag „eigentlich nichts geleistet hat“, so Gerhard Bökel, 57, Spitzenkandidat der SPD und Landtagswahlkämpfer auf verlorenem Posten. Gebeten um eine Bilanz, fällt aber auch grünen Funktionsträgern nicht allzu viel ein; und mit Ruhm bekleckert hätten sich die Fraktionsmitglieder auch nicht gerade. Der Abgeordnete Frank Kaufmann, 54, vielleicht noch, der sich als passionierter Gegner aller Ausbauvarianten am Flughafen profilierte. Oder Ursula Hamann, 47, die tapfer – aber einsam – das umweltpolitische Fähnlein hoch hielt. Ein ehemaliges Landesvorstandsmitglied weist noch auf Sarah Sorge, 33, hin, die erst vor zwei Jahren in den Landtag nachrückte und dann umgehend in Mutterschaftsurlaub ging; „sicher auch eine Leistung“. Sorge ist auf dem sicheren Platz fünf der Landesliste zu finden. Der letzte politische Kopf der Partei in Hessen, der ehemalige Justizminister und ehemalige Fraktionsvorsitzende Rupert von Plottnitz, 62, verzichtete dagegen auf eine neuerliche Kandidatur.
Denn Stärke der Grünen ist nur die derzeitige Schwäche der SPD. Wer bei diesen Landtagswahlen die SPD abstrafen, aber partout nicht CDU oder FDP wählen will, der macht am Sonntag sein Kreuz bei den Grünen. So einfach ist das. Vor vier Jahren noch war es die Schwäche der Grünen, die Hans Eichel (SPD) den Sieg kostete. Da war die Partei im harten Polarisierungswahlkampf zwischen den Giganten schlicht wie Parmesan zerrieben worden; und Roland Koch triumphierte überraschend. Doch bis auf den Wiedereinzug in den Landtag werden die Grünen ihre eigentlichen Wahlziele erneut nicht erreichen: Ihre Abgeordneten bleiben für weitere – jetzt – fünf Jahre auf den harten Oppositionsbänken sitzen. Koch wird erneut zum Ministerpräsidenten gewählt werden. So richtig närrisch freuen können wird sich am Sonntag deshalb nur einer: Roland Koch. Und bei den Grünen wird sich spätestens am Montag Katerstimmung einstellen – nach all den geleerten Flaschen „Schloss Wachenheim grün Cabinett“.
Verkatert nach dem ersten Rausch am Wahlabend werden sich – so ist zu befürchten – auch die niedersächsichen Grünen fühlen. Zwar machte auf einer ihrer letzten Wahlveranstaltungen Joschka Fischer noch einmal richtig Dampf: „Wenn ihr euch in den letzten Tagen richtig reinhängt, kriegt ihr das am kommenden Sonntag wieder hin“, rief er am Mittwochabend rund 1.000 Anhängern in Hannover zu. Die Meinungsumfragen prognostizieren für Niedersachsen zwar Zugewinne der Grünen, aber allesamt keine rot-grüne Mehrheit im Landesparlament.
Die niedersächsischen Grünen hätten trotzdem immer noch „die große Chance Sigmar Gabriel zu retten“ und könnten zugleich ihre Spitzenkandidatin Rebecca Harms zur „stellvertretende Ministerpräsidentin und Umweltministerin aus der Anti-Atom-Bewegung“ machen, mahnte Fischer eindringlich. Gerade in Niedersachsen, wo das im Gorlebener Endlagerbergwerk, das Erbe des CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht noch „in Salz gehauen existiert“, werde es entscheidend darauf ankommen, wie die Wähler in den letzten Tagen mobilisiert würden.
Auch die grüne Fraktionschefin Rebecca Harms beschwor „eine andere Wechselstimmung, als die Umfragen suggerieren wollen“. Die Niedersachsen wollten nicht zurück zur Albrecht-Ära, nicht zurück zu einem Klima der Intoleranz, des Neids und des Drucks nach unten. Bei der CDU müsse man das Kleingedruckte lesen, warnte Harms. Die Konservativen planten ein Gendatei für Schwarzfahrer, für AKW-Gegner und für Eierdiebe und wollten Jugendliche in geschlossene Heime sperren.
Nur Spott hatte die Grünen-Spitzenkandidatin für die niedersächsische FDP und ihren 63-jährigen Listenführer Walter Hirche übrig, der schon in Niedersachsen und Brandenburg als Wirtschaftsminister und im Bund als Staatssekretär gescheitert sei. Für seine Partei seien schon fünf Prozent zu viel, sagte Harms. In der Tat können die Grünen nur bei einem erneuten Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde noch auf eine Regierungsbeteiligung hoffen.
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