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Der Vermögenssteuerer

Philosophiestudent Phillipp Hebersang ist 25 Jahre alt, hat ein WG-Zimmer in York und jedes Jahr 200.000 Euro mehr – ohne etwas dafür zu tun. Warum ein junger Reicher, der sich um nichts Gedanken machen müsste, dennoch nachdenkt – und die Deutsche Bank für einen „ätzenden Verein“ hält

„Ich fühle mich dem Punk näher als dem Beamten oder Manager“„Mein Ziel ist es, dass Geld als Teil meiner Persönlichkeit zu akzeptieren“

von ULRICH SCHULTE

Wenigstens die Gegend stimmt. Es geht in die Straßen um den Zionskirchplatz, Prenzlauer Berg. Hier wohnt er. Ein guter Ort zum Leben, wo die alten Mietshäuser farbig sind wie Lutschbonbons und sich Stahlbalkone an Wände klammern. Und er wird sicher nicht schlecht wohnen, denkt man sich, fünfter Stock, hohe Fenster wahrscheinlich bis hinunter zu den Holzdielen, eine ganze Front über den Dächern, vielleicht hat er ein Klavier, ein Kanapee im Erker, der gen Süden blickt. Es ist im Hinterhaus und nicht im fünften Stock.

Phillipp Hebersang lehnt in der Tür. Er lächelt vorsichtig. 25 Jahre alt, Philosophie-Student, schmales Gesicht unter dunklen Locken, das ist alles nichts ungewöhnliches. Nur eines passt nicht: Dass jedes Jahr 200.000 Euro auf sein Girokonto fließen, ohne dass er etwas dafür tut. Hebersang ist reich, doch er wird nicht in die Schublade „Neureich“ passen. Zum Beispiel will er mit seinem Geld nichts geringeres erreichen als eine bessere Welt.

Mit dem Namen geht es los. Er will seinen echten nicht in der Zeitung lesen. Aber nicht die Bittbriefe sind ihm lästig, „da könnte ja was Sinnvolles bei sein“. Nein, er will sich selbst schützen vor der Meute der Vermögensberater, „dieser Riesenindustrie“, und seine Familie vor der Angst, dass ihre Kinder nicht mehr sicher sind. Das Foto geht in Ordnung, seine Bekannten wissen bescheid. In seinem Zwei-Zimmer-Reich fehlt das Klavier, dafür steht im Flur der Wäscheständer und in der Küche die Anrichte, welche er „immer mal abschleifen wollte“ und die es dringend nötig hätte. Es regiert studentische Kargheit, nicht teure Eleganz. Die abgewetzten Sessel sind noch vom Großvater, dessen Geschichte auch wichtig ist, doch der Reihe nach.

Phillipp Hebersang studiert Philosophie, und deshalb redet er von Gerechtigkeit in langen, oft komplizierten Sätzen. Über John Rawls, den amerikanischen Philosophen, der eine „Theory of Justice“ entworfen hat. „Ich fühle mich dem Punk näher als dem Beamten oder Manager. Nur dass ich das Glück hatte, in einer anderen Familie geboren zu werden. Ich finde es wichtig, Fragen von einem unparteiischen Standpunkt aus zu beurteilen. In der Wirtschaft zum Beispiel wird man als verrückt dargestellt, wenn man nicht die eigenen Interessen vertritt.“

Hebersang hat einen offenen Brief an den Bundeskanzler unterschrieben, in dem er für eine Vermögenssteuer plädiert. Ob Schröder ihn gelesen hat, ist nicht mehr wichtig, denn längst leben wir in der Zinssteuer-Ära. Durch sie wird Hebersang noch reicher werden, was er unfair findet, doch nicht ändern kann. Was er tun kann, ist dem Straßenzeitungsverkäufer beiläufig 30 Cent zu viel geben, 2.000 Euro für die Flutopfer in Sachsen spenden oder das Kunsthaus um die Ecke zu sponsern. Doch das reicht ihm nicht.

Wenn Phillipp Hebersang antwortet, lässt er sich Zeit, als ob er jedes Wort auf Wahrhaftigkeit durchleuchten müsse. Warum zog es ihn aus Darmstadt, der Provinz, ausgerechnet nach Berlin, Prenzlauer Berg? „Vielleicht war es so, dass ich mit der westdeutschen Sozialisation ein Problem hatte, mit den braven Vorgärten, den Zäunen und so weiter.“ Vielleicht war es so? „Es ist nicht die ganze Wahrheit, aber ein Teil des Ganzen.“

Dass sich ein Hang zur Selbstanalyse durch sein Leben zieht, hat er längst festgestellt, dass er das von den Eltern hat, der Vater Psychoanalytiker und die Mutter Familientherapeutin, ist wahrscheinlich. Irgendwann während des Gesprächs holt er eine in Cellophan verpackte Marzipantorte aus dem Schrank, er ist ein gastfreundlicher Mensch. Das Werbegeschenk ist so ähnlich wie sein Leben – immer geschützt durch eine glitzernde, nicht gleich sichtbare Hülle.

Die Hülle hat sein Großvater geschaffen, der in der Wirtschaftswunderzeit eine Firma in Norddeutschland gründete. Chemiebranche, mehr soll hier nicht stehen. Er lebte für die Arbeit, manchmal setzte sich der Lieblingsopa auf einen Gabelstapler, nahm Enkel Phillipp auf den Schoß und sie kurvten über das Betriebsgelände. Heute sitzt der zweite familienfremde Geschäftsführer im Chefsessel.

Eine Erfolgsgeschichte, die für die ganze Familie reicht. Für die Großeltern, ihre drei Kinder und neun Enkel. Phillipp muss eine beschauliche Kindheit gehabt haben im Einfamilienhaus mit großem Garten am Stadtrand, irgendwo in Hessen. Vor der Tür steht ein Volvo, bloß keinen übertriebenen Reichtum zeigen, „auch zu Weihnachten gab es keine Supernummern“. Die Eltern achten auf Normalität.

Als Kind denkt er sich nichts bei den Fernreisen nach Venezuela oder Indonesien in den Sommerferien. Die anderen fliegen ja auch nach Mallorca. Nach der Schule jobbt Hebersang am Staatstheater Darmstadt in der Tonabteilung. Bekommt keinen Platz in der Hochschule der Künste für ein Tonmeisterstudium. Will Physik studieren, dann Theaterwissenschaft und Mathematik. Bleibt schließlich bei der Philosophie hängen. Es fehlt der endgültige Plan, wie bei vielen mit Anfang zwanzig.

Der Großvater stirbt 1996. Plötzlich wird der Reichtum konkret. Es muss ein unwirklicher Moment gewesen sein. Wie immer steckt man die EC-Karte in den Automaten, der Kontoauszug surrt heraus und plötzlich steht da unter „Haben“ eine Zahl mit vielen Nullen. Die erste Überweisung. Erst da hat Phillipp Hebersang, „richtig gemerkt, dass ich reich bin“, auch wenn er es natürlich vorher schon wusste. Und er hat reagiert, wie Männer es tun, die plötzlich mehr Haare im Kamm finden als früher. Überhaupt nicht. Hebersang wollte seinen Reichtum nicht wahr haben, wollte sein wie alle anderen Studenten, das Geld häufte sich auf der Bank. Die erste Studentenbude in Berlin hat Ofenheizung, eine Dusche in der Küche und kostet 300 Mark. Die offizielle Beteiligung an der Firma folgt 1998. Ein weißes Standklavier, Marke „Europa“ aus Polen, ist ein erster Luxus. Das Studium in New York an der Graduate School of Arts and Sciences, 10.000 Dollar Gebühren pro Semester, ein weiterer.

Seinen Vermögenskollegen wäre Hebersang fremd mit seinem Strickpulli und Parka, und noch fremder wäre den meisten, dass Hebersang alles in Deutschland versteuert. Zum Spitzensteuersatz. Dass er sein Geld „nicht in Schiffe steckt, wie es gerade angesagt ist“. Wieviel er zahlt, kann er nicht auf Anhieb sagen und muss später die Einkommenssteuererklärung aus dem Ordner kramen. Pro Jahr rund 100.000 Euro, eine schöne Eigentumswohnung.

Er findet, dass Eigentum verpflichtet, was er so sagt, dass es nicht nach Phrase klingt. Doch reichen 2.000 Euro für Überschwemmungsopfer, wenn jeden Monat das Vielfache auf dem Konto eingeht? Hebersang hat im Café um die Ecke das Knie unter das Kinn gezogen und denkt über die Frage nach. Nicht, dass er das zum ersten Mal machen würde, doch er möchte sich genau ausdrücken. „Mein Ziel ist es, dass Geld als Teil meiner Persönlichkeit zu akzeptieren. Es wäre doch schizophren, es ständig abzulehnen und wie eine Art Über-Ich abzuspalten.“ Wieder Philosophisches. Doch warum dann nicht gleich alles spenden? Ein Zweckethiker würde das fragen. So handeln, dass es immer der Mehrheit nutzt. Könnte das Geld nicht Leben retten? „Soweit bin ich noch nicht, das wäre gelogen. Vorstellen könnte ich mir so etwas, wenn ich alt bin und keine Kinder habe, zum Beispiel. Eine Stiftung würde nicht mit mir sterben.“

Er will erst einmal nicht viel ändern. Die kleine Wohnung am Zionskirchplatz halten, montags im Studentenchor mitsingen. Ab und zu genießt er die Freiheit, die ihm das Geld gibt. Er zahlt 1.500 Dollar für ein WG-Zimmer an der 5th-Avenue, oder 150 Dollar für einen Abend in der Metropolitan Opera. Bald wird er das Studium abschließen, in den USA studiert es sich schneller, dann promovieren, die kantische Ethik hat ihren Reiz. Hebersang möchte als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer deutschen Universität arbeiten und verdienen, wovon er lebt.

„Als eine Art Zweitjob“ möchte er das geerbte Vermögen verwalten. Die Spenden breiter streuen, mehr Entwicklungshilfe leisten. Den anderen Teil so anlegen, dass er nicht nur ihm, sondern auch der Gesellschaft nutzt. Nicht bei diesem „ätzenden Verein“, der Deutschen Bank, lieber bei der Ökobank. Die Rücklagen eher in Windenergie investieren, in Initiativen, die nicht an öffentliche Förderung rankommen“. Noch fehlt der endgültige Plan.

Auf dem Weg zurück in seine Wohnung hat er den Kopf zwischen die Parkaschultern gezogen, es wird bald wieder schneien in Berlin, und meint dann fast entschuldigend: „Ach ja, was ich beim Thema Luxus vielleicht noch vergessen habe – meine Stereoanlage ist ziemlich teuer.“ Oben angekommen sind dann nur die Boxen luxuriös, der Plattenspieler ist vom Trödler. Vielleicht sind der Drang, sich für Glück zu rechtfertigen, und zu penible Selbstbeobachtung der Preis, wenn man reich ist und das Fragen nicht verlernt hat.

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