: Bei Besamern und Bankern
Auch am äußersten Rand hat die Welt jene Bretter, die sie bedeuten: Das Theater Metronom in der 20-Seelen-Gemeinde Hütthof spielt alles außer Bauernschwänken. Star der Bühne ist Hündin Lotte
Kühe glotzen elegisch aus dem schummrigen Stall. Sie schubbern ihr Fell an rostigen Eisengattern. Leise klirren die Ketten in der Dunkelheit. Das wirkt durchaus theatralisch. Aber sollte dies wirklich das Ziel der Suche sein? Ist das Theater auf dem Lande?
Vorwurfsvolles Muhen erhält der Besucher zur Antwort, während er sich pfützenwatend vorwärts quält. Als beneideten die Wiederkäuer ihn um diese Freiheit: im Regen zu latschen. Aus einem Misthaufen dampfen duftende Nebelschwaden. Ein zottiger Hund stöbert im Gerümpel. Nach Ratten?
Hütthof. Eine 20-Seelen-Gemeinde im Nirgendwo der weitschweifenden niedersächsischen Jagdgründe. Blaublütige Gutsherren tauchen heute allenfalls als Randbemerkung auf, Leibeigene sind nur noch die Kühe. Und jener mit Mendelscher Hartnäckigkeit gezüchtete graufellige Wolfsabkömmling, der nur noch domestiziert die Zähne bleckt, huscht als nasser Schatten vorbei; dem Gast, dem Suchenden hündisch ergeben – Zuhilfe kommend – voran. Die wuchtige Stahltür knarzt unwillig, als wolle sie dem Eindringling ihre Wichtigkeit kundtun.
Sonores Gemurmel, warm eingehüllt, schlägt ihm entgegen. Vergessen der seltsam durchmischte Geruch nach Dung und Heu. Sparsam gekringelt steigt Zigarettenrauch auf, Kerzenlicht flackert, Weingläser scheppern, Gesichter sind erwartungsgerötet, Leiber in edlen Zwirn gewandet. Eine andere Welt. Deren Grenze nicht mehr und nicht weniger ist als ein schlichtes Stahltor. Behütet von einem Mischlingshund: Lotte, die jetzt schwanzwedelnd auf ihre Herren zustrebt. Der Mensch ist Gott für Caniden. Jene „andere Welt“ auf dem alten Gutshof in Hütthof ist eine Theaterwelt mit allen Schikanen. Technik, Beleuchtung, 99 Stühle – gespendet von der Bremer Shakespeare Company –, alles was man braucht, ist vorhanden. Das Theater Metronom– ein funkelnder Diamant „Kultur“ inmitten landwirtschaftlich geprägter Einöde. Geschliffen von Karin Schroeder und Andreas Goehrt.
Vor knapp zehn Jahren verfrachteten die beiden umherziehenden Schauspieler und Theatermacher ihren Zigeunerwagen und ihr Theaterzelt hierher – und wurden sesshaft. Nachdem sie acht Jahre durch den gesamten deutschsprachigen Raum tourten; nach achtjährigem Zeltauf- und Zeltabbau und Wohnen im Zigeunerwagen.
Der prangt jetzt als lebendiges Mahnmal in der zum Theater umfunktionierten Scheunenhalle. „Ein Stück Erinnerung“, sagt Andreas Goehrt. Im Innern wirkt der liebevoll gestaltete Wagen, als wohnten die beiden noch immer darin: Sie, die schon immer Schauspielerin sein wollte und wurde; und er, der schon immer vom Theater fasziniert und darin umtriebig war, erst Politik und Physik studierte, zur See fuhr, gar als Feuerschlucker arbeitete. Und schließlich sie kennen lernte, Karin. Bei einem Theatertreffen. Vergilbte Fotos, Gewürzregale, Souvenirs – Vergangenheit ins Heute hinüber gerettet. Doch das hat nichts Larmoyantes, die Sehnsucht des Paars bleibt nach vorn gerichtet.
„Da musst du den Arm richtig weit reinschieben. Bis zum Gebärmuttermund …“ Das Warten auf des Abends kulturelle Würze verkürzt mit harmlosen Geplänkel über bäuerliches Tagwerk. Eine Stuhlreihe dahinter: Vor Entsetzen weit aufgerissene Augen, ein rot geschminkter Frauenmund still schreiend offen vor baffem Erstaunen: Welten begegnen sich. „Da sitzen Besamer neben Bankerinnen.“
Karin und Andreas feixen. Das befriedigt. Grenzüberschreitung zum Äußersten getrieben. Eigenproduktionen und Gastspiele locken am Wochenende Städter aus Hannover, Hamburg und Bremen wie die Bevölkerung der angrenzenden Kleinstädte und Dörfer gleichermaßen an.
Oder Politiker: eine Ratssitzung der Visselhöveder Gemeinde im Theater. Erst skeptisch gegenüber einer öffentlichen Subvention fürs Schauspiel, revidierten die Ratsherren ihre Meinung schnell. Viele gehören mittlerweile zum Stammpublikum. Ein Bürgerprojekt hat das Theater Metronom auch ins Leben gerufen. Das heißt, eigentlich waren das die Bürger selbst. „Die sind zu uns gekommen und haben gesagt: Wir wollen Theater machen, wie ihr es macht!“ Nämlich mit Aussage, politischem Hintergrund – aber auch witzig. Themen, die die Leute gerade lokalpolitisch berühren, werden fabelartig auf die Bühne gebracht. Nun schon zum vierten Mal.
Der kleine Saal wird dunkel, die Bühne erhellt. Konzentrierte Stille, das Publikum lauscht, starrt, bebt. Ist das religiöse Ehrfurcht? Im Kollektiv. Wer sind dessen Götter? Die Vorstellung beginnt. Der heimliche Star und Liebling des Theaters, die Hündin Lotte – der einzige Hund der Welt, der Grinsen kann – schmiegt sich indessen vertraulich ans Bein und äugt mit warmem, feuchtem Kennerblick auf die Szenerie. Ja, auch sie bekommt ab und an mal eine Rolle, die sie dann mit Bravour meistert. Ansonsten hat das wuschelige Tier ein wachsames Auge auf Hof, Theater, Herrchen und Frauchen. Und nimmt die Fanpost entgegen. Die ist zahlreich. Und sie kommt von Herzen.
Daniela Barth
Weitere Infos und Spielplan unter: www.theatermetronom.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen