: „Mit einer Schere im Kopf“
taz-Redakteur Sven Hansen hat acht Tage lang in Dschalalabad afghanische Journalisten unterrichtet – organisiert von der „Initiative Freie Presse“, deren Gründungsmitglied er ist
taz: Herr Hansen, wie nötig hat die afghanische Presse Hilfe in Sachen Journalismus?
Sven Hansen: Das glaubwürdigste Medium dort ist mit Abstand BBC, was viel über die journalistischen Standards in Afghanistan aussagt. Es wird kaum zwischen Nachricht und Kommentar unterschieden und mit Fakten wird es auch nicht genau genommen. Den Medien merkt man ihre royalistische und sozialistische Vergangenheit an. Sie betreiben oft Hofberichterstattung oder aber sind Propagandainstrumente bestimmter Gruppen.
Also ist es Ihr erstes Ziel, den afghanischen Kollegen eine Idee von kritischem Journalismus beizubringen?
Ja, aber vor allem das journalistische Handwerk. Das Land war ja zuletzt unter den Taliban quasi pressefrei: Es gab so gut wie keine Presse, sondern nur den Taliban-Sender Radio Scharia. Bei einem Analphabetenanteil von 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung gibt es auch keine Zeitungskultur, wie wir sie in Deutschland kennen. Zeitungen erscheinen unregelmäßig und sind nicht sehr aktuell. Oft sind es nur vierseitige „Käseblätter“. Die Bevölkerung hätte gern Alternativen zu den meist staatlichen Medien – und nutzt sie auch, wenn es sie gibt und sie nicht gleich wieder geschlossen werden wegen Geldmangels oder angeblicher kritischer Haltungen. Die Journalisten arbeiten deshalb oft mit einer Schere im Kopf.
Auch Ihre Seminarteilnehmer?
Mir gegenüber haben sie sich schon frei geäußert, auch viel gelästert. Aber offiziell ist das wieder ganz anders. Da lassen sie sich gerne einwickeln.
Einwickeln?
Wir organisierten eine Pressekonferenz mit dem Leiter eines Entwicklungshilfeprojekts. Dabei werden landwirtschaftliche Alternativen zum Opiumanbau aufgezeigt. Die afghanischen Kollegen haben sich die Methode erklären lassen, und dann war es auch schon gut. Es gab nicht eine Nachfrage zu den Ausmaßen des Projektes und anderen Zahlen, ohne die man den Erfolg des Projekts ja gar nicht bewerten kann. Das war erschütternd.
Haben Sie das angesprochen?
Klar. Es gibt so etwas wie Selbstzensur. Die Journalisten sind extrem vorsichtig. Verständlich. Denn in Afghanistan muss man damit rechnen, dass es einen Bombenanschlag auf das Redaktionsbüro gibt oder Journalisten sogar von Beamten entführt werden. Ich kann afghanische Kollegen zwar ermuntern, die Grenzen für Kritik auszuweiten, ihnen auch zeigen, nach welchen Regeln Kritik funktioniert. Aber sie müssen das letztlich verantworten können.
Waren auch Frauen in Ihrem Seminar, Dschalalabad ist ja sehr paschtunisch?
Wir haben uns bemüht, den Kurs gemischt anzubieten. Allerdings wurden uns von unserem lokalen Projektpartner in Dschalalabad im Unterschied zu anderen Städten nur Männer präsentiert. Da haben wir protestiert. Zwei Frauen sind dann gekommen, aber nur zu den ersten beiden Sitzungen.
Und danach?
Dann mussten sie auf Druck ihrer Familien zu Hause bleiben.
Warum Druck der Familie?
In Dschalalabad habe ich jetzt zwar im Unterschied zum letzten Jahr auch Frauen auf der Straße gesehen, aber nur mit Burka. Die Gegend ist extrem konservativ. Es war in Dschalalabad so, dass eine Frau eigentlich keinen Mann interviewen kann, nicht nur, weil sie unter der Burka steckt. Es ist nicht üblich, einen fremden Mann anzusprechen. Dazu müsste die Frau einen Begleiter haben, ihm die Fragen sagen und der stellt sie dann. Umgekehrt interviewen männliche Journalisten auch keine Frauen, die sie ja auch fast nicht zu sehen bekommen. Für ein Gespräch bedarf es der Zustimmung des männlichen Familienoberhauptes. Es ist vieles sehr mühsam.
Was ist noch mühsam?
Ach, Sie glauben gar nicht, wie mühsam manchmal einfache Dinge sein können wie der Ausdruck einer Seite. Oft gibt es keinen Strom. Dann gibt es zwar einen Generator. Aber der ist gerade kaputt, oder es fehlt das Benzin. Oder der Generator steht in einem Gebäude. Das aber ist abgeschlossen. Und der Typ, der den Schlüssel hat, ist einkaufen und so weiter. Das kann ermüdend sein. Aber die afghanischen Kollegen verdienen auch Anerkennung, wenn sie unter den widrigen Umständen etwas bewegen.
Herr Hansen, vor einer Woche hat die Loja Dschirga die afghanische Verfassung verabschiedet. Wie ist es um die Pressefreiheit bestellt?
Es gibt zwar ein Pressegesetz der Karsai-Regierung. Da sind Formulierungen drin wie: Journalisten dürfen nicht gegen die Interessen des Landes oder die Prinzipien des Islam verstoßen. Diese sind aber nirgends klar definiert. Verstößt Kritik an einem Mullah gegen den Islam oder fällt das unter Meinungsfreiheit, die es ja auch geben soll. Solche Unklarheiten bietet auch die Verfassung, deren Interpretation von den jeweils Mächtigen abhängen dürfte.
Afghanistans Presse arbeitet in einer Grauzone?
Vor ein paar Monaten wurde gegenüber einem Journalisten eine Fatwa ausgesprochen, welche die Todesstrafe vorsah, weil er Mudschaheddin-Kämpfern „heiligen Faschismus“ vorgeworfen hatte. Auf Druck des Auslands und von Präsident Karsai wurde der Mann dann kurzfristig freigelassen, konnte fliehen und lebt jetzt im kanadischen Exil. Nicht nur sind die Rechtsgrundlagen nicht klar und ein Teil der Justiz in islamistischer Hand. Pressefreiheit kann es auch nicht geben, solange Warlords und bewaffnete Gruppen Journalisten bedrohen.
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