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Schlicht, wie es war

Kindertränen, Leichenberge, aber kein Mitleid: Die Galerie C/O Berlin holt Bilder des amerikanischen Kriegsfotografen James Nachtwey nach Berlin und einen Dokumentarfilm, der ihn bei der Arbeit zeigt

VON ANDREA EDLINGER

„Ich war Zeuge, und meine Bilder sind eine Zeugenaussage. Die Ereignisse, die ich aufgezeichnet habe, dürfen niemals vergessen werden und niemals wiederholt werden.“ Ein Anspruch an die eigene Arbeit, wie er hier formuliert ist: Er könnte höher nicht sein und dezenter könnte auch ein Mensch nicht auftreten, der ihn so an sich stellt. Dass es hier um einen Job geht, der zwar dirty sein mag, den aber schlicht jemand zu tun hat – dieses Bild vermittelt James Nachtwey von sich, und er hält dabei den Grad zwischen Understatement und Pathos. Unter dem Titel „War Photographer“ zeigt das C/O Berlin 136 Werke des amerikanischen Kriegsfotografen. Die Ausstellung porträtiert zugleich den Menschen James Nachtwey.

Afghanistan, Ruanda, Indonesien, Ground Zero, Flüchtlingslager in den Palästinensergebieten, Kinderheime in Rumänien – die Reihe der gezeigten Bilder umfasst die furchtbarsten Schauplätze der vergangenen zwanzig Jahre. Es sind dies Namen und Orte, die sich als Katastrophen ins kollektive Gedächtnis gebrannt haben. Doch macht es die Stärke von Nachtweys Aufnahmen aus, dass sie die Zuordnung vergessen lassen, dass auf ihnen das konkrete „Ereignis“ und der Ort, am dem sie fotografiert wurden, in den Hintergrund geraten. Im Fokus Nachtweys stehen die Menschen: Tränengerötete Kinderaugen, trauernde Frauen. Und die Leichenberge. Zusammengeschüttet im Dutzend zeichnen sich unter Stofffetzen die Konturen einzelner Menschen ab, verwandelt sich der „Massenmord“ in Tote.

Große schwarze Kinderaugen, die von tief unten in die Kamera blicken. Solche Fotos erregen normalerweise Mitleid. Doch nicht die von James Nachtwey. Es sind ästhetische Bilder – schön und wahr zugleich. Kurz mitleiden und innehalten funktioniert bei diesen Arbeiten aber nicht: Die Bilder bleiben tief innen haften. Gerade weil sie nicht den moralischen Zeigefinger erheben, sondern zeigen, wie es war. Schlicht und einfach.

Und außerdem: Man könnte gegen Nachtweys Arbeit einwenden, was man wollte, seinen Erfolg kann man ihm nicht abstreiten. Seine Bilder riefen die Hungerkrise in Somalia Anfang der Neunzigerjahre erst wieder in Erinnerung und UNO-Hilfslieferungen folgten. Folgerichtig zu dem dokumentarischen Anspruch zeigen Nachtweys Fotografien nicht nur Opfer: Während der Proteste gegen den damaligen indonesischen Machthaber Suharto lynchen Oppositionelle einen Angehörigen des Regimes. Blutüberströmt erheben sich über ihn Messer und Stöcke, die auf ihn niederprasseln. Allzu leicht fällt sich normalerweise das Urteil, etablieren sich die Kategorien „Täter“ versus „Opfer“. Nachtweys Fotos fordern aber eine moralische Bewertung ein, die tiefer ansetzt als Verurteilung. Der Mensch wird als Leidender wie als Leid Zufügender gezeigt.

In der Ausstellung ist auch Christian Freis Dokumentarfilm „War Photographer“ zu sehen. Dieses Porträt von James Nachtwey wurde 2002 sogar für den Oscar nominiert. Sich in diesem Film darzustellen war ein schwerer Schritt für Nachtwey, den Platz zu wechseln und sich vor die Kamera zu setzen, um über Dinge zu sprechen, für die es eigentlich gar keine Worte gibt. Der Regisseur Frei musste sich sein Vertrauen schwer erkämpfen und ihn davon überzeugen, dass seine Kamera Nachtweys Fotokamera nicht stören würde.

Man beobachtet James Nachtwey bei seiner Arbeit: Sein ergrautes Haar sauber gescheitelt, mit gebügeltem Hemd und Jeans bekleidet. Als ginge er ins Büro und nicht in die Nahkampfzone. Wenn er auf den Auslöser seiner Kamera drückt, passiert dies ohne Hektik; und das, obwohl er mitten im Granatengewitter steht.

Mit wenigen Worten tritt Nachtwey an die Menschen heran, die er fotografieren will. Er begegnet ihnen mit Respekt, stets darauf bedacht, ihnen ihre Würde zu lassen. Er stellt sich ihnen als Jim vor. So nennen ihn seine Freunde. In dem Dokumentarfilm sieht man die Hauptperson kaum je lächeln. Erstaunlich, wie jemand, der seit mehr als zwanzig Jahren den Kriegen hinterherjagt und menschliches Leiden teilt, so viel Haltung bewahren kann. „Ich bin unwichtig. Meine Bilder zählen.“ stellt sich James Nachtwey bescheiden in den Hintergrund.

Bis 29. Februar, tgl. 11–19 Uhr, C/O Berlin, Linienstraße 144, Mitte

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