: Michael Jackson und ich
Heute wird Daniela K. in Santa Maria für Michael Jackson demonstrieren. Sie folgt ihm seit Jahren
VON STEFAN KUZMANY
Jetzt starrt Daniela K. Ihre Augen sind unnatürlich weit aufgerissen, der Kopf leicht nach vorne gebeugt. Eigentlich hat Daniela ein hübsches Gesicht, aber jetzt ist ihr Blick starr, die Züge um ihren Mund hart. Sekundenlang starrt sie so in die Augen des Gegenübers. Daniela K. starrt so, wie Michael Jackson sie angestarrt hat. So sieht Michael Jackson Menschen an, die er sich einprägen möchte, sagt Daniela, eine Freundin hat ihr das erzählt. Wenn Michael dich so ansieht, mit so einem Blick, dann vergisst er dich nie, dann prägt er sich dein Gesicht ein, dann kannst du dir die Haare abrasieren oder einen Bart ankleben, er wird dich nie mehr vergessen. Michael Jackson hat Daniela K. auch mal so angesehen.
Wie oft die 25-jährige Biologiestudentin aus Berlin-Lichtenrade den Popstar schon persönlich getroffen hat, ist schwierig zu berichten, oft war es jedenfalls und man kann schon ein wenig durcheinander kommen, wenn sie so begeistert erzählt, wie das zum Beispiel war, als sie da bei Michael Jackson am Frühstückstisch saß, da, wo Michael auch immer sitzt, auf der Neverland Ranch in Santa Maria, Kalifornien, die er jetzt vermieten oder verkaufen will, weil er sich dort nicht mehr wohlfühlt, seit 80 Leute durch sein Schlafzimmer gelaufen sind, 80 Staatsbeamte, dabei ist das Zimmer kaum größer als das von Daniela K., eher kleiner sogar, sie war ja selbst schon mal drin, überhaupt: Das ganze Haus ist so groß auch wieder nicht, wie man sich das immer vorstellt, wenn man Michael nicht kennt, Michael ist ein bescheidener Mensch, Michael will da nicht mehr hin, weil sie seine Ranch durchsucht haben nach Beweisen dafür, dass er ein Kind missbraucht hat, also Daniela saß da am Frühstückstisch, und plötzlich läuft ein Kamel am Fenster vorbei und wenig später auch noch ein Elefant. Das war ganz schön surreal.
Aber eins nach dem anderen. Als Kind mochte Daniela K. Michael Jackson nicht. Michael Jackson, das war die Musik ihrer älteren Schwester Bettina, die wohnte damals noch in dem Zimmer mit Dachschräge im Obergeschoss des Hauses der Familie K. in Berlin-Lichtenrade, einem beschaulichen Westberliner Stadtteil, mit Gartenlauben und Einfamilienhäusern, unten im Flur gibt es eine Vitrine mit kleinen Figürchen darinnen und oben hatte Bettina die Stereoanlage an, und da lief Michael Jackson, sehr laut, Daniela empfand das als Krach. Und verantwortlich für diesen Krach war Michael Jackson. „Damals habe ich ihn gehasst wie die Pest“, sagt Daniela. Das änderte sich erst, als in der siebten Klasse der Englischlehrer das Musikvideo „Black or White“ von Michael Jackson vorführte. Daniela, erst skeptisch, begeisterte sich immer mehr, sie weiß noch genau, wie sie damals auf dem Pausenhof diskutiert hat und immer mehr zu der Ansicht kam: Michael Jackson ist doch ganz gut. Dieses „ganz gut“ wuchs bald darauf zu einem „super“, als Daniela ein Wochenend-Special über Michael Jackson auf MTV gesehen hatte, auf Videokassette aufgenommen und also wieder betrachtet, und als die zweite Kassette zu Ende war, da war das für Daniela so wie für andere vielleicht, wenn sie ein gutes Buch gelesen haben und ganz darin versunken sind und plötzlich ist das Buch vorbei und das Gefühl sagt: „Nein! Das kann doch nicht alles gewesen sein!“
Heute ist die Schwester Bettina in Spanien zur Ausbildung, und Daniela ist vor kurzem in ihr altes Zimmer umgezogen und auch sonst war es noch lange nicht alles. Daniela ist Michael-Jackson-Fan geblieben. Ihr ganzes Geld, das heißt, ihre Bafög-Unterstützung, ihr Taschengeld, ihre durch Studentenjobs erworbenen Einkünfte gab und gibt sie dafür aus, in die Nähe von Michael Jackson zu gelangen, vor seinem Gartentor oder Hotel auf ihn zu warten, um dann, mit viel Glück, einige Worte zu wechseln mit Michael Jackson und vielleicht noch ein gemeinsames Foto zu ergattern. In ihrer Freizeit bastelt Daniela bunte Glasbilder, es sind Geschenke für Michael. Ein großes hat sie schon überreicht, mit den Disney-Figuren Peter Pan und Goofy darauf, anderthalb Jahre hat sie daran gearbeitet und es dann in London vor einem Hotel einem Bodyguard von Michael Jackson anvertraut. Der hat es ihm auch überreicht und am nächsten Tag hieß es, er sei so begeistert, er wolle das Mädchen sehen, das diesen wunderschönen Wandschmuck gemacht hat. In Lichtenrade wartet noch ein zweites Glasbild darauf, Michael Jackson überreicht zu werden, es stellt die Disneyfigur Peter Pan dar und ist elektrisch beleuchtbar.
Im Zimmer im Käfig sitzt Bartholomaeus, ein Zwerglöwenkopfkaninchen, noch ganz jung. Erst vor kurzem ist Benny Bunny gestorben, Bartholomaeus’ Vorgänger, im Alter von knappen dreizehn Jahren, die Tierärztin hat gesagt, so ein betagtes Kaninchen habe sie noch nie gesehen. Es hängen einige Fotos von Michael Jackson an der Wand, kommerzielle und solche, die zufällig entstanden sind, mit Daniela und anderen Fans darauf. Auf einem braun gemusterten Sofa sitzt ein Plüschelefant. Obwohl Daniela sagt, ihr Leben sei zweigeteilt in den „Michael-Part“ und den normalen, mit Studium und Freunden – es scheint doch so zu sein, dass der Michael Jackson gewidmete Bereich den anderen überstrahlt. Sie studiert Biologie im 5. Semester, ist aber etwas hinterher, denn wenn sie das Studium für eine Woche unterbricht, um Michael hinterherzureisen, dann ist das so, als würde man in der Schule zwei Monate fehlen. Einen Freund hat Daniela nicht und sagt, das sei auch gut so, denn der würde ja sicher gerne mal etwas unternehmen wollen mit ihr, ausgehen vielleicht, aber das ist nicht drin. Das Geld muss für die Reisen gespart werden. Er ist es ihr wert. Es ist Daniela wichtiger, Michael zu sehen und zu „supporten“, als auszugehen oder zum Friseur.
Selbstverständlich ist Michael unschuldig. Und hoffentlich wird er mit den bösen Anwürfen fertig. Michael ist stark. Er lässt den Kopf nicht hängen, niemals. „Er ist unheimlich stark geworden. Er ist die stärkste Person, die ich kenne“, sagt Daniela. Michael ist ihr Vorbild. Sie gibt viel für ihn. Und bekommt viel zurück.
Die Tage, die sie auf den Spuren von Michael Jackson verbringt, sehen so aus: zunächst ein billiges Quartier suchen, mittlerweile kennt sie die Tricks: eine geht zur Rezeption und bucht, zu fünft schlafen sie dann im Hotelzimmer. Dann am Vormittag hin zu Michael, vor Neverland oder vors Hotel, und vielleicht kommt er zum Zaun und lässt sich auf ein kurzes Gespräch ein oder lädt sie sogar ein zu sich, wie an jenem Glückstag, als sie dann tatsächlich an Michael Jacksons Küchentisch sitzen durfte und auch sein Schlafzimmer besichtigen.
Heute wird Daniela K. mit anderen Fans vor dem Gerichtsgebäude in Santa Maria stehen und für Michael demonstrieren. Sie bot sich den deutschen Fans als Kontaktfrau für die Reise zum Gerichtstermin an. Es flogen dann doch nur wenige mit, der Termin war einmal verschoben worden. Und die Reise ist teuer.
Sicher, Danielas Eltern sehen es nicht so gerne, wenn sie so viel Zeit und Geld opfert. Aber sie haben sich daran gewöhnt, und das alles hat ja auch seine guten Seiten, zum Beispiel kann Daniela jetzt sehr gut Englisch. Manchmal, wenn sie von Michael spricht, fällt ihr die korrekte deutsche Vokabel nicht ein, nur die englische. Später wird Danielas Mutter anrufen und darum bitten, dass der Nachname nicht ausgeschrieben wird.
Damals in London, als Daniela das Glasbild überreicht hatte und am nächsten Tag zur Audienz gebeten wurde, waren die beiden doch nicht allein miteinander, wie Daniela gehofft hatte, sondern es war ein „Massenmeeting“. Zehn oder elf weitere Fans waren auch da, alle mit selbst gemachten Geschenken für Michael, die meisten mit Bildern, einer hatte einen strassbesetzten Gürtel für Michael dabei, denn Michael mag es, wenn es glitzert, und Michael nahm sich Zeit und begutachtete die Geschenke und bedankte sich. Daniela hatte als Einzige kein Geschenk dabei, denn sie hatte ihr Glasbild ja schon am Vortag abgegeben, und als die Reihe an ihr war, da wusste Michael Jackson nicht, wofür er sich bedanken sollte, und der Bodyguard sagte „Das Glasbild“ und Michael Jackson überlegte und der Bodyguard sagte es noch mal, da wusste er es und bedankte sich und dann starrte Michael Jackson Daniela K. an, die Augen weit aufgerissen, den Kopf leicht gesenkt, und prägte sich ihr Gesicht ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen