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heute in Bremen„Es gibt auch ein kaltes Erinnern“

Das Rathaus füllt sich mit erinnernden und feiernden Jugendlichen

taz: Herr Hafner, Sie koordinieren die elfte „Nacht der Jugend“. Wie hat sich die Veranstaltung im Laufe der Jahre verändert?

Helmut Hafner, Beauftragter des Bürgermeisters für zivilgesellschaftliches Engagement: Zu Anfang waren es vor allem Gymnasiasten aus Horn und Schwachhausen, die sich engagierten. Heute kommt mindestens die Hälfte der rund 500 Jugendlichen, die die Nacht der Jugend vorbereiten, aus Stadtteilen am Rande, wie Obervieland, Gröpelingen und Tenever.

Der Anlass ist das Gedenken an die Reichspogromnacht 1938. Wie erklären Sie Jugendlichen , deren Großeltern damalsin Anatolien lebten, dass sie sich fürs Erinnern engagieren sollen?

Gerade diese Jugendliche kennen die Erfahrung,wie schnell Menschen für wertlos erklärt werden können und sich dann auch wertlos fühlen. Sie wissen, dass man den Juden erst die Würde genommen hat, bevor sie ermordet wurden.

Ehrengast ist diesmal Herbert Goldschmidt, der nach der Misshandlung und Ermordung von Familienangehörigen durch einen Kindertransport nach England gerettet wurde. Wie reagieren Überlebende auf die mitunter sehr popkulturellen Veranstaltungen der Jugendnacht?

Es gibt nicht nur ein kaltes Vergessen. Es gibt auch ein kaltes Erinnern. Jugendliche, die sportlich und künstlerisch besonders talentiert sind, setzen ihr Talent ein für Engagement gegen Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus. Und für Respekt und Menschenwürde. Elvira Noa, die Vorsitzende der Bremer Jüdischen Gemeinde, begrüßt ausdrücklich, dass auch Hiphop-Gruppen dabei sind.

Aber wie passt Cheerleading zu Erinnerungskultur?

Die Cheerleader waren eine Obervieländer Gruppe mit Teilnehmern aus neun Nationen. Sie hatten vor ihrer Teilnahme mit Erinnern an Auschwitz nichts im Sinn. Dann wollten sie mit ihrem Sport die Ideen der Nacht der Jugend unterstützen. Und das war wunderbar. Aber natürlich ist es eine Gratwanderung: Die dritte Nacht der Jugend lief uns fast aus dem Ruder, da war mehr Party als Erinnern. Aber wir lernen immer neu dazu.

Unter der Rubrik „Redner“ steht nichts auf der Homepage: Ein Verzicht?

Nein, das ist ein Fehler der Homepage. Der Bürgermeister und Herbert Goldschmidt werden sprechen, und viele Jugendliche. Das ist auch ein Unterschied zu früher: Die meisten Wortbeiträge stammen von den Jugendlichen selbst. FRAGEN: HENNING BLEYL

Rathaus, von 18 bis ca. 23 Uhr, offen für alle Generationen

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