: Pufferzone für die Türkei
Nach den Gerüchten über ein Vorrücken türkischer Truppen in den Nordirak sind Ankara und Washington nun einig: Die Türkei stockt ihre Truppen auf
aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH
Nach zwei Tagen größter Verwirrung über das türkische Vorgehen im Nordirak hat Ministerpräsident Tayyip Erdogan am Sonntag für eine erste Klärung gesorgt. Die Türkei, so Erdogan, sei im Einvernehmen mit den USA und werde ihre Aktionen im Nordirak „in enger Abstimmung mit den US-Streitkräften durchführen“.
Waren also die Berichte über einen eigenmächtigen türkischen Einmarsch Falschmeldungen? Während die Nachrichtenagentur Reuters sich auf anonyme türkische Militärquellen berief, die bestätigt haben sollen, dass türkische Truppen in der Nacht zu Samstag an drei verschiedenen Stellen im Länderdreieck Türkei/Irak/Iran die Grenze überquert hätten, hatte es von offizieller Seite gleich Dementis gegeben. Sowohl ein Regierungssprecher als auch der türkische Generalstab bestritten, dass zusätzliche türkische Truppen in den Nordirak gebracht worden seien. Am glaubwürdigsten war das Dementi der irakischen Kurden: Ein KDP-Sprecher sagte am Samstag, ihre Milizen hätten keinen weiteren türkischen Einmarsch registriert.
Unabhängig von den bisherigen widersprüchlichen Meldungen steht der Einmarsch allerdings nun definitiv bevor. Nach Berichten türkischer Medien hat es nach zwei Tagen dramatischer Verhandlungen hinter den Kulissen jetzt tatsächlich eine Einigung mit den USA gegeben. Danach ist die US-Führung unter folgenden Bedingungen bereit zu akzeptieren, dass die Türkei ihre ohnehin vorhandenen Truppen im Nordirak aufstockt: Erstens, der Einmarsch findet nicht sofort statt, sondern die USA haben Zeit, die Lage zunächst mit den Kurden zu klären. Zweitens, es werden keine mechanisierten Einheiten eingesetzt, vor allem keine Panzer. Und drittens verpflichten sich die türkischen Truppen, maximal 12 Meilen, also knapp 20 Kilometer nicht zu überschreiten. In dieser Pufferzone sollen dann Camps für mögliche Flüchtlinge aufgebaut werden, und die türkischen Truppen sollen die Möglichkeit haben, ihre Grenze gegen Kämpfer der PKK, die jetzt möglicherweise aus dem Nordirak wieder in die Türkei wollen, abzufangen.
Diesem Ergebnis gingen laut Hürriyet, der Zeitung mit den besten Regierungs- und Militärkontakten, zwei Tage „atemberaubender diplomatischer Verhandlungen“ voraus. Mehrmals telefonierte US-Außenminister Powell sowohl mit Ministerpräsident Erdogan wie seinem Kollegen Abdullah Gül. Dabei wurde folgende Rahmenabsprache getroffen: Überflugrechte für US- und britische Kampfflugzeuge, Nutzung türkischer Flughäfen für „humanitäre Zwecke“, Nachschub über die türkisch-irakische Grenze in Habur auf der einen Seite, der endgültige Abzug der US-Bodentruppen und der begrenzte türkische Einmarsch im Irak auf der anderen Seite.
Tagelang hatte es ausgesehen, als steuerten Ankara und Washington auf einen GAU in ihren Beziehungen zu. Als die türkische Regierung in der Nacht von Donnerstag auf Freitag den Luftraum immer noch nicht freigeben wollte, ohne dafür grünes Licht für einen Einmarsch in den Nordirak zu erhalten, war die Stimmung auf dem Tiefpunkt. Erst in einem längeren Gespräch zwischen Erdogan und Powell sollen dann „Missverständnisse“ so weit ausgeräumt worden sein, dass die Türkei unmittelbar danach ihren Luftraum öffnete und Powell grundsätzlich der türkischen Truppenstationierung im Nordirak zustimmte.
Mittlerweile hat sich die Armada, die im Golf von Iskenderun mit der Ausrüstung der 4. US-Infanteriedivision wochenlang auf ihre Entladung gewartet hatte, auf den Weg in den Persischen Golf gemacht. US-Kampftruppen werden also nicht mehr über die Türkei in den Irak gebracht. Gleichzeitig scheinen Amerikaner und Briten ihre Luftaktivitäten von der Türkei aus zu verstärken. Zudem gibt es Berichte, nach denen ein US-Lkw-Konvoi den Grenzübergang Habur passiert hat. In den nächsten Tagen, wenn die kurdischen Milizen sich auf amerikanischen Druck aus dem Grenzstreifen zur Türkei zurückgezogen haben, werden türkische Truppen nach und nach in ihre Pufferzone vorrücken. Das wird, so verspricht Außenminister Abdullah Gül, eine zeitlich begrenzte Aktion. „Wir erheben keine territorialen Ansprüche im Irak.“ So paradox es klingt, angeblich sollen die türkischen Truppen ja gerade die territoriale Integrität des Irak garantieren.
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