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BAFÖG-FREUDE KANN SKANDAL DER BILDUNGSPOLITIK NICHT VERTUSCHENDies Land vergeudet Talente

Als die Bildungsministerin gestern mit den neuesten Bafög-Infos herausrückte, waren alle glücklich. Der Applaus ist so groß, weil die Zahl der Studierenden mit staatlichem Stipendium rasant steigt: Edelgard Bulmahn beglückwünschte sich selbst, da ihre Politik wieder mehr Kinder aus einkommensschwachen Familien an die Unis lotst. Und der mit den Wirren um den Irakkrieg überlastete Bundeskanzler adelte das Thema jüngst gar in seiner Regierungserklärung: Der Anteil der Studierenden pro Jahrgang sei in Deutschland unter Rot-Grün von 28 Prozent auf über 37 Prozent gestiegen.

Trotz des Jubels sollte aber niemand vergessen, dass immer noch zu wenige studieren, und vor allem: dass immer noch viel zu wenige Jugendliche eines Jahrgangs die Hochschulreife erlangen. Für die Wissensgesellschaft und die Anforderungen, die das 21. Jahrhundert an das technische und politische Wissen jedes Bürgers stellt, ist das Bildungssystem der Republik nicht gewappnet, weder finanziell noch in Bezug auf die Leistungskraft der Schulen. Finanziell nicht, weil auf den hinteren Seiten des Bafög-Berichts steht, dass die Bundesregierung für die Bildung trotz ihres „herausragenden Stellenwerts“ künftig keine finanziellen Spielräume mehr sieht. Sprich: In Zeiten des Steuerschwundes braucht auch die seit 1998 durchgehend mit Etatsteigerungen verwöhnte Bildungsministerin auf Zuwächse nicht mehr zu hoffen.

Gravierender aber sind die stecken gebliebenen Schulreformen. Denn der Nachschub an Bildungsfähigen versiegt: Abitur erringen, je nach Bundesland und Machart, nur zwischen 19 Prozent in Bayern und 40 Prozent bundesweit (inklusive Fachhochschulreife).

Man kann es drehen und wenden, wie man will. Bildungsexpansion ist nicht möglich, wenn knapp ein Viertel der Jugendlichen die Schulen als funktionale Analphabeten oder sehr schlechte Leser verlassen. Oder anders: Die ganze Bafög-Freude kann den gesellschaftlichen Skandal der Bildungspolitik nicht vertuschen: Dieses Land vergeudet viel zu viele Talente, indem es die Schüler sehr früh in schlechte Schulen abschiebt. CHRISTIAN FÜLLER

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