: Mentale Ödnis an der Oker
Zwar findet sich in Braunschweig die zweitgrößte Kunsthochschule der Republik – wer sie durchlief, flieht aber meistens so schnell wie möglich. Zwei Absolventen haben nun einen ganzen Schwung Arbeiten ehemaliger Mitstudierender für eine Ausstellung zurückgeholt
Die Aufgabe von Kunst heute sei es, Chaos in die Ordnung zu bringen. Diese Sentenz Theodor W. Adornos aus dem Jahr 1951 ist seit einem guten halben Jahrhundert ein Klassiker – im Feuilleton oder auf Ausstellungseröffnungen, wenn es darum geht, der Kunst eine subversive Rolle in der Gesellschaft zuzugestehen.
Aber ist diese Verklärung eigentlich noch angemessen? Hat die Kunst überhaupt noch die avantgardistische Aussagekraft, die sie – vielleicht – in den kargen Nachkriegsjahren besessen hatte? Und: in welcher Rolle sehen sich folglich die bundesdeutschen Kunsthochschulen? Man darf vermuten: eher nicht als institutionalisierte Produzenten zukünftiger Störenfriede.
Mitten in der norddeutschen Provinz, in Braunschweig, liegt seit 1963 Gesamtdeutschlands zweitgrößte Kunsthochschule. Mit rund 1.200 Studierenden ist sie zwar deutlich kleiner als die Berliner Universität der Künste, aber immerhin doch fast so groß wie, sagen wir: die Universität für Angewandte Kunst in Wien. Mit dem wesentlichen Unterschied, dass man von der Braunschweigischen Lehranstalt (außerhalb derer) kaum etwas vernimmt.
Die Ausstellung „BS-Visite“, organisiert von zwei Absolventen der Braunschweiger Hochschule für bildende Künste, will dem nun abhelfen. Viel Mühe und ein Jahr Arbeit haben Michael Botor, Assistent im Fachbereich Architektur der lokalen TU, und Thorsten Freye, Kunstpädagoge, investiert und 33 Positionen aus den letzten fünf bis fünfzehn Jahren unter ehemaligen Studienkollegen aus ganz Deutschland erkundet und an den Studienort geholt, oder besser: zurückgeholt. Denn es ist durchaus bezeichnend für die mental gleichgeschaltete Stadt an der Oker, dass es die vormaligen Meisterschüler häufig nach dem Studienabschluss nach Düsseldorf, Berlin oder Köln zieht. Mit deren weltoffenerem Fluidum, mit Museen, Galerien, Förderprogrammen, kurz: kultureller Infrastruktur kann Braunschweig einfach nicht mithalten.
Schon das Finden eines Ortes gestaltete sich auch jetzt schwierig: Die ursprüngliche Freigabe der verwaisten Räume der öffentlichen Bücherei – diese selbst wurde ja ins ECE-Schloss umgesiedelt – zog die Stadtverwaltung kurzerhand zurück. Zu groß erschien wohl das Risiko, einer kulturellen Zwischennutzung der ungeliebten Immobilie Tür und Tor zu öffnen. Mit einer privat bewirtschafteten, aufgelassenen Fabrikationshalle wurden Botor und Freye dann doch noch fündig.
Dass die Jungkünstler, die hier nun ihre Arbeiten in einem offensichtlich unfreiwilligen Zufallsarrangement darbieten, nicht allesamt Aufregendes vorzeigen können, sollte man ihnen nicht vorhalten. Auch dass am Eröffnungsabend selbst simpelste Tontechnik versagte, gab dem Vorhaben durchaus etwas charmant Unprofessionelles. Ärgerlicher war da schon die Ansprache von Hochschulpräsidentin Barbara Straka, die in bestem Marketingsprech den Stadtvätern die weichen Standortfaktoren Kunst und Kultur ans Herz legte und mahnte, sie mögen sich doch statt immer nur Klöstern und Kirchen, Kaiser Otto und dem Karneval künftig auch ihrer Kreativen annehmen. Dabei hatte die Hochschule selbst es versäumt, einmal eine derartige Ausstellung auf die Beine zu stellen und kam gerade noch rechtzeitig als „Unterstützer“ mit ins Bot. Auch wird sich mancher Künstler schlicht missachtet finden, wenn sein Tun auf City-Marketing reduziert wird.
Sind die beiden Organisatoren denn zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der „BS-Visite“? Michael Botor bleibt diplomatisch: Man wolle sich nicht vor den Karren der Stadt spannen lassen und auch die Abkopplung von der Hochschule unterstreiche das Eigenleben des Projekts. 600 Besucher zur Eröffnung zeigen immerhin: Interesse ist vorhanden. BETTINA MARIA BROSOWSKY
bis 28. November, Rebenring 31 (Rebenpark), Braunschweig; www.bs-visite.de
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