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ein arabisches tv-tagebuchSélim Nassib über den Irakkrieg auf al-Dschasira

Schwarze Tage für die Presse

„Wir greifen in diesem Krieg niemanden an, wir sind einfach nur Journalisten und unser getöteter Kamerad Tarek Ayyoub …“ Ein kurzes Schluchzen unterbricht Tayssir Allouni, der live von der großen Moschee in Bagdad berichtet. Gebeugt und offensichtlich am Ende seiner Kräfte, ringt der Starjournalist um Fassung und erzählt, wie sein Kollege – 35 Jahre alt, Jordanier und Vater einer kleinen Tochter – vor einigen Stunden getötet wurde, als ein US-Flugzeug eine Bombe auf das Büro des Senders in der irakischen Hauptstadt abgeworfen hat. Bilder zeigen die letzten Auftritte von Ayyoub, schlecht rasiert, behelmt, dann den Transport seines Körpers in einer Decke, getragen von seinen Kollegen.

„Ob es nun ein Unfall oder die Folge eines gezielten Angriffes war, der Märtyrer Tarek Ayyoub ist jetzt bei den anderen Märtyrern der Informationsfreiheit“, sagt der Sprecher, bevor er die Bilanz „dieses schwarzen Tages“ für die Presse präsentiert: Das Hotel Palästina, wo viele ausländische Journalisten untergebracht sind, wurde bombardiert, die Büros von Abu-Dhabi-TV wurden beschossen. Im Ganzen: zwei Tote und fünf Verletzte.

Ein amerikanischer Verantwortlicher arabischer Herkunft erscheint, um dem Sender sein Beileid auszusprechen, in seinem Namen und in dem seiner Regierung. „Es ist unmöglich, dass der Schuss gezielt war“, unterstreicht er. „Ich bitte Sie, ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse, üben Sie Zurückhaltung!“ Der Sprecher kontert, dass es angesichts von drei getroffenen journalistischen Angriffszielen eher an den Amerikanern sei, Zurückhaltung zu üben.

Die gestern ausgestrahlten Bilder von amerikanischen Soldaten, die sich im Garten eines Palastes von Saddam Hussein sonnen, haben einen trügerischen Eindruck vermittelt. In Wahrheit ist die Schlacht um Bagdad weit von ihrem Ende entfernt. Al-Dschasira zeigt eine Mutter, die mit ihren Kindern in einem Keller kauert. Ständig wiederholt sie „Allahou Akbar“, ihre Hände sind geöffnet wie zu einem Gebet. Derweil nähert sich das Pfeifen einer Granate.

Die Trauer der Crew von al-Dschasira in Bagdad überträgt sich wie eine ansteckende Krankheit auf alle Zivilisten, die sterben oder leiden. Plötzlich ist der Krieg ganz real, so wie die Tragödien, die er hervorruft. Nachdem al-Dschsira den irakischen Zensurversuchen entkommen und Ziel amerikanischer Bomben geworden ist, erscheint der Sender wie ein Fernsehen, das von keiner Kriegspartei abhängig ist. Für al-Dschasira hat die Eroberung dieses Bildes einen bitteren Beigeschmack.

Sélim Nassib begleitet in seiner Kolumne die Berichterstattung des arabischen TV-Senders al-Dschasira

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