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Für den Aufbau des Irak zahlen?

JA

Deutschland muss sich am Wiederaufbau im Irak beteiligen. Eine Weigerung würde die Gräben innerhalb der EU und zwischen Europa und Amerika noch vertiefen. Außerdem gilt: Nur wer zahlt, hat später eine Chance auf Mitbestimmung.

Deutschland muss mithelfen, den Irak wieder auzubauen, auch wenn viele Deutsche – die prominenteste unter ihnen Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul – aus dem Bauch heraus sagen: „Wer ein Land zerstört, muss es auch aufbauen.“ Doch diese Haltung ist trotzig. Es geht jetzt nicht länger darum, die Fahne der Moral hochzuhalten – die Beteiligung am Wiederaufbau wird nicht im Verdacht stehen, gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Selbst wer vermeiden will, den Krieg im Nachhinein zu rechtfertigen, muss ein Interesse daran haben, wenigstens den Frieden langfristig zu sichern und den Wiederaufbau möglichst über ein UN-Mandat zu legitimieren. Es geht jetzt darum, die langfristigen Schäden durch den Krieg und die vorausgegangene Debatte möglichst klein zu halten.

Dazu gehört zunächst das Bestreben, den Irak und den gesamten Nahen Osten nicht dauerhaft gegen „den Westen“ aufzubringen. Wenn sich Deutschland im Irak engagiert, kann es dazu beitragen, ein Bild „des Westens“ als Aggressor und Hegemonialmacht zu relativieren. Immerhin sind die Deutschen nicht als Kriegspartei aufgetreten. Ihre standhafte Ablehnung des Kriegs hat ihnen Sympathien im Nahen Osten eingebracht – im Gegensatz zu den Amerikanern. Mit diesem Pfund muss die Bundesregierung wuchern und wenigstens versuchen zu verhindern, dass der Irak zum US-Protektorat wird.

Für den Wiederaufbau des Landes sind Konzepte nötig, die Alternativen zu denen der USA bieten. Beispielsweise für die Zukunft der Ölausbeutung. Die USA wollen diese privatisieren und an US-Firmen verteilen. Das dürfen die anderen Länder nicht hinnehmen, ohne zumindest den Versuch zu unternehmen, eine andere Lösung herbeizuführen. Die Verstaatlichung der Ölquellen unter Saddam Hussein hat der irakischen Bevölkerung zumindest am Anfang zu sozialer Sicherheit verholfen, weil aus dem Ölverkauf das Bildungs-und Gesundheitswesen finanziert werden konnten. Auch jetzt muss sichergestellt sein, dass die breite Bevölkerung von den Ölvorkommen profitiert. Armut ohne Perspektive würde nur noch zusätzlich zur Destabilisierung der Gesellschaft beitragen und die Verankerung eines demokratischen Systems erschweren.

Zu den Schäden, die vermieden werden müssen, gehören aber auch die Schäden für die Staatengemeinschaft. Erstens für die EU: Deutschland muss in Absprache mit den anderen EU-Ländern handeln. Eine klare europäische Haltung zum Wiederaufbau wäre ein Baustein für eine gemeinsame Außenpolitik, die die EU dringend braucht. Halten sich Deutschland und Frankreich aus dem Wiederaufbau raus, droht die EU sich weiter in amerikanophile und amerikanophobe Mitglieder zu spalten. Gelingt es den beiden kontinentalen EU-Führungsländern nicht, Großbritannien wieder mit ins Boot zu holen, besteht für Europa die Gefahr, dass sich die Briten auf Dauer näher an den USA als in der EU positionieren.

Zweitens für die UNO: Würden die Vereinten Nationen beim Aufbau des Iraks und einer Neuordnung des gesamten Nahen Ostens keine Rolle spielen, kapitulierten sie dauerhaft vor den Interessen ihres stärksten Mitglieds.

Wenn Wieczorek-Zeul gegen eine deutsche Beteiligung am Wiederaufbau des Iraks ist, dürfte das über die moralischen hinaus auch finanzielle Gründe haben: Wahrscheinlich würde das Geld für den Irak von ihrem Ressort abgspart werden. So ist es, wenn auch diskret mit Umweg über das „Anti-Terror-Paket“, nach dem Afghanistankrieg geschehen. So geschah es mit den Geldern für den Kosovo-Stabilitätspakt, die in den BMZ-Haushalt gestellt wurden – mit der Folge, dass für die eigentlichen Adressaten deutscher Entwicklungszusammenarbeit in Afrika, Asien und Lateinamerika weniger Mittel zur Verfügung standen.

Doch nicht nur die Entwicklungsministerin fürchtet womöglich, dass man ihr in die Schatulle greifen könnte. Sämtliche Etats sind derzeit von Kürzungen bedroht, und so lautet einer der Einwände gegen den Wiederaufbau, woher die Bundesregierung Geld für den Irak nehmen soll. Schließlich ist von Summen bis zu 100 Milliarden Dollar die Rede, die insgesamt benötigt werden. Solche Bedenken sind jedoch kurzsichtig: Erstens weiß niemand, ob die langfristigen Kosten erhöhter Sicherheitsmaßnahmen nicht noch viel teurer sein werden, sollten die USA mit ihrer Nahostpolitik weitere Terroranschläge provozieren. Zweitens ist zu erwarten, dass die Chance für deutsche Firmen steigt, Aufträge im Irak zu bekommen, wenn Deutschland zu den Financiers gehört. Und drittens gilt in der Regel: Nur wer zahlt, darf auch mitbestimmen.

KATHARINA KOUFEN

NEIN

Deutschland darf sich an einem Wiederaufbau im Irak nicht beteiligen. Würde es doch, legitimierte es nachträglich den amerikanisch-britischen Krieg gegen den Irak. Die USA würden damit ermuntert, bald den nächsten Feldzug zu beginnen.

Wäre der Begriff nicht schon besetzt, die Eroberung des Irak würde als Blitzkrieg in die Geschichte eingehen. Nach 21 Tagen haben die Streitkräfte der Kriegskoalition das Land weitgehend unter Kontrolle. Irakische Streitkräfte stellen keine Bedrohung mehr dar. Es wird nicht mehr lange dauern, bis britische und US-Soldaten die Situation militärisch endgültig im Griff haben. Dann soll nach dem Willen der Sieger eine Besatzungsphase von mindestens drei Monaten folgen, die sich aber auch auf Jahre ausdehnen könnte. Nur: Es ist nicht nur unwahrscheinlich, dass in einem solchen Zeitraum eine funktionsfähige irakische Regierung steht. Tatsächlich sind die USA und ihre Verbündeten bereits jetzt mit den anstehenden Problemen – der Verwaltung eines nicht gerade kleinen, fremden Landes – überfordert.

Weder sind die Streitkräfte der Kriegskoalition in der Lage, Polizeiaufgaben zu übernehmen, noch können sie effektive humanitäre Hilfe leisten. Das gehört nicht zum Repertoire von Armeen. Die irakische Bevölkerung aber braucht jetzt Hilfe, die neben dem Roten Kreuz einzig das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) leisten kann. Die Vereinten Nationen werden also tatsächlich schon sehr bald eine entscheidende Rolle im Irak übernehmen. Allerdings darf dies nicht diejenige Rolle sein, welche die britische und die US-Regierung vorgesehen haben. Nicht nur die UN, sondern auch andere internationale Organisationen, Staaten und Staatenbünde sollen im Irak helfen. Aber humanitäre Hilfe für die irakische Bevölkerung ist nicht gleichbedeutend damit, den Aufräumer für die Kriegskoalition zu geben.

Im Irak haben die USA mit ein paar Verbündeten Krieg geführt – gegen den erklärten Willen der Mehrheit der in den Vereinten Nationen organisierten Staaten. Wenn die UN, die Staaten der Europäischen Union oder sonstwer, der gegen den Irakkrieg war, jetzt dort in leitender Funktion den Wiederaufbau übernehmen oder finanzieren, wird der Irakkrieg nachträglich legitimiert. Damit aber würde eine hochgefährliche Entwicklung weiter befördert. Die USA haben sich in den vergangenen Jahren in führender Position an einer ganzen Reihe miliärischer Auseinandersetzungen beteiligt. Keiner dieser Kriege ist mit dem Angriff auf den Irak vergleichbar. Trotzdem fällt auf, dass die Vereinigten Staaten in keinem Fall anschließend die Verantwortung für den Frieden übernehmen mussten.

Die von der UN angeforderten Nato-Luftangriffe auf serbische Ziele in Bosnien 1995 haben dazu beigetragen, den Krieg dort zu beenden. Anschließend wurden amerikanische GIs und britische Soldaten in das zerstörte Land geschickt, um den dortigen Armeen deutlichst zu zeigen, mit wem sie sich gegebenenfalls anlegen müssten. Das Konzept geht bis heute auf – vor allem dank der sichtbaren Präsenz der Armeen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens. Eine andere Rolle hat niemand gefordert. Im Kosovo haben die USA 1999 als führende Nato-Macht den Krieg gegen Serbien geführt und gewonnen. Die Verwaltung des Kosovo übernahm die UNO – obwohl der Krieg gegen deren Charta begonnen worden war. Die US Army hat bis heute ihre eigene Basis, Camp Bondstell im Kosovo. Einen Anlass, sich über eine Nachkriegsordnung Gedanken zu machen, hat Washington nicht.

Die Vereinigten Staaten haben in den vergangenen Jahren gelernt, dass sie die Kriege führen und andere die Aufräumarbeiten erledigen. Am weitesten ging das in Afghanistan: um die humanitäre Hilfe und den Wiederaufbau kümmern sich internatonale Organisationen, die militärische Sicherung übernehmen Verbündete. Die US Army kämpft derweil einfach weiter, wo es ihr beliebt – ohne sich besonders um den offiziell herrschenden Frieden zu scheren. Wenn eine UN-Verwaltung für den Irak den Krieg der USA jetzt im Nachhinein legitimiert, dann werden die Vereinigten Staaten zumindest unter ihrer derzeitigen Regierung bald den nächsten Krieg anfangen. Krieg muss aber nicht nur teuer bleiben – er muss möglichst so teuer werden, dass niemand ihn mehr führt. Deshalb muss die Kriegskoalition den Wiederaufbau des Irak alleine leisten.

Die Forderung Frankreichs nach einer über humanitäre Hilfe hinausgehenden Rolle der UN ist also so unsinnig wie die deutschen Überlegungen zu UN-Blauhelmen. Hofft man in Paris und Berlin etwa auf einen Anteil am irakischen Öl? US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat diesem Ansinnen bereits deutlichst eine Absage erteilt: „Wir haben das Risiko getragen, uns gehört das Ergebnis.“ Die USA werden das Öl des Irak nicht teilen – egal, wer dort was aufbaut oder finanziert. Gerade diejenigen Regierungen, die den Irakkrieg abgelehnt haben, wären gut beraten, die Gelegenheit zu nutzen, um ihren Ausstieg aus den fossilen Energien zu beschleunigen. Während die USA und ihre Koalitionspartner Krieg um einen Rohstoff führen, der in ein paar Jahrzehnten verbraucht sein wird, könnten andere Staaten und Koalitionen die regenerativen Energien so weit entwickeln, dass sie das schwarze Gold bald ersetzen können. Damit wäre dem Mulitlateralismus allemal mehr gedient als mit dem hilflosen Versuch, jetzt mit den USA im Irak zu konkurrieren. RÜDIGER ROSSIG

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