: Eine Kaltfront zwischen Berlin und Moskau
Der Russlandbesuch von Außenminister Fischer machte deutlich: Allmählich traut sich Deutschland, Putin zu kritisieren
MOSKAU taz ■ Klirrender Frost begleitete Bundesaußenminister Joschka Fischer bei seiner Stippvisite in Moskau diese Woche. Nicht nur draußen vor dem Kreml sanken die Temperaturen auf empfindliche Minusgrade, sondern auch drinnen. Hinter der Lächelebene von Schröder und Putin überwiegen in den deutsch-russischen Beziehungen die Probleme.
Denn das Auswärtige Amt bewertet die Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaat in Russland inzwischen als „sehr negativ“. Nach einem zweistündigen Gespräch mit Präsident Wladimir Putin äußerten sich Fischer und sein russischer Amtskollege Igor Iwanow ungewöhnlich deutlich über voneinander abweichende Einschätzungen der russischen Innenpolitik. Neben dem Krieg in Tschetschenien und der Gleichschaltung russischer Medien bemängelte Fischer auch beunruhigende Tendenzen in Sachen Demokratie. „Es gibt unterschiedliche Beurteilungen der Lage in Tschetschenien, bei den Massenmedien und hinsichtlich des Status der russischsprachigen Minderheiten in Lettland und Estland“, räumte auch Iwanow ein, woraufhin Fischer ergänzte, es lägen auch „Unstimmigkeiten über die Entwicklung der Demokratie im Innern Russlands“ vor.
Das markiert eine Zäsur in den Beziehungen. Es wird von deutscher Seite nicht mehr nur als ein Koordinationsproblem des russischen Gehapparats abgetan, wenn Moskau Berlin gegen das Schienbein tritt. Auf Nebenkriegsschauplätzen wie bei der Rückführung der Beutekunst gibt das Moskau offen zu verstehen. Neben der Weigerung, das längst versprochene Archiv des Außenministers Walter Rathenau aus der Weimarer Republik zurückzugeben, ließ die Charakterisierung Deutschlands als ehemaliger Feindstaat doch aufhorchen. Nach vier Jahren Putin ist dies inzwischen der Geist, der Russland beherrscht.
Im Vorfeld der Visite hatte schon der SPD-Politiker Gernot Erler, der sich um die Annäherung der russischen und deutschen Zivilgesellschaften bemühen soll, auf einen baldigen Wetterumschwung in den bilateralen Beziehungen hingewiesen. Erler glaubt, dass sich in Russland eine Systemveränderung vollzieht, die es nicht mehr gerechtfertigt erscheinen lasse, von einem parlamentarischen System zu sprechen.
Der in den USA erkennbare Stimmungswandel im Umgang mit Russland, sagte Erler im Rückgriff auf die klaren Worte des US-Außenministers Colin Powell letzte Woche in Moskau, zeichne sich auch in Deutschland ab. Er sei sich sicher, dass diese atmosphärische Veränderung auch bald die offiziellen Beziehungen erreichen werde. „Wenn Russland so weitermacht, wird es in einer weltpolitischen Sackgasse landen“, sagte er.
Moskaus politisches Establishment zürnt Berlin auch als Ganzes, da Achmed Sakajew, Gesandter des rechtmäßigen tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow, vor kurzem auf Einladung einiger Bundestagsabgeordneter in Berlin weilte. Die russischen Demokraten um Kremlchef Putin werteten das als einen Affront. Sie denken, der Kanzler hätte es untersagen können. KLAUS-HELGE DONATH
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