: „Das sind Vorwahlen für Berlin“
Der grüne Landesvorsitzende Frithjof Schmidt will als Abgeordneter nach Brüssel gehen und trotzdem in Düsseldorf bleiben: Vor den drei Wahlen soll im Landesvorstand nicht umgesattelt werden
INTERVIEW: C. SCHURIAN und A. WYPUTTA
taz: Herr Schmidt, wer leitet die grüne Partei in Nordrhein-Westfalen in den nächsten Monaten?
Frithjof Schmidt: Wenn die Partei will: Britta Hasselmann und ich. Wir haben ja ein Superwahljahr vor uns – innerhalb von zwölf Monaten finden drei Wahlen statt. Nach der Europawahl stehen wir vor Kommunal- und Landtagswahlen. Wahlen, die auch eine bundespolitische Bedeutung haben. Die Kommunalwahlen gelten als Vorentscheidung für die Landtagswahlen. Die Landtagswahlen werden als Vorwahl für die Bundestagswahl 2006 gesehen. Es spricht alles dafür, das mit der gleichen Führungsgruppe zu machen. Die in den Wahlkämpfen zu ändern, würde ich für falsch halten.
Sie kandidieren auch für das Europa-Parlament, müssten im Erfolgsfall viel Zeit in Brüssel verbringen. Lässt sich das verbinden?
Für einen begrenzten Zeitraum. Ich kandidiere maximal für zwei Jahre. Entscheidende Basis ist die Fortsetzung der guten Teamarbeit im Landesvorstand. Ich hatte schon eine europapolitische Zusatzbelastung als einziger Deutscher im Vorstand der Europäischen Grünen Partei. Sollte ich ins Europaparlament ziehen, würde ich dieses Amt sofort abgeben. Als Abgeordneter hat man eine ausgezeichnete Infrastruktur. Die Restbelastung, muss man durch erhöhten Einsatz ausgleichen.
Wie hat ihre Partei auf Ihre Entscheidung reagiert?
Im Landesvorstand war die Reaktion sehr positiv. Britta Hasselmann hatte schon erklärt, dass sie das begrüßen würde.
Wird Europa ein stärkeres Thema für die Grünen in NRW?
Generell ist es es ein Thema von wachsender Bedeutung. Innerhalb Europas ist NRW eine Kernregion. Durch den europäischen Binnenmarkt gibt es keine Gründe mehr, sich nur nach Osten in Richtung anderer Bundesländer zu orientieren. Aus den Niederlanden kommen meines Wissens die meisten Direktinvestitionen ins Land. Das Bewusstsein für die europäischen Regionen wird sich noch stärker herausbilden.
Noch bis 2006 fließen Ziel-II-Mittel nach NRW. Wie sehen die Grünen die Zukunft der EU-Strukturhilfen?
Das hängt auch davon ab, ob es gelingt, den EU-Agrarhaushalt zu reformieren und dadurch eine regionale Entwicklung im ländlichen Raum zu fördern. Aus NRW-Sicht werden wir uns dafür einsetzen, das genau definiert wird, was strukturschwache Gebiete sind. Das ist mit innerdeutscher Gleichbehandlung verbunden. Wir haben in NRW strukturschwache Gebiete, die genauso viel Unterstützung brauchen wie ostdeutsche Regionen. Wir werden darum kämpfen, das die künftig weiter und zielgenau unterstützt werden.
Nützen Ihnen Ihre europäischen Erfahrungen, um im Bundesland gelassener zu sein?
Ich möchte das umdrehen: Im europäischen Orbit ist umgekehrt eine politische Erdung und regionale Bodenhaftung ganz wichtig. In Europa geht der Trend ohnehin dahin, neben der europäischen Zentrale den Regionen mehr Bedeutung zu geben.
Wie ist Nordrhein-Westfalen in Brüssel aufgestellt?
In der Landesregierung gibt es ein hellwaches Bewusstsein dafür, wie wichtig diese Prozesse sind – es gibt einen breiten Konsens, dass man in Brüssel intensiv präsent sein muss. Gerade in den kommenden Jahren werden viele Weichen gestellt.
Nochmal: Ist NRW gut aufgestellt?
Das Land muss sich verbessern, wenn erreicht werden soll, was nötig ist. Der jetzt mögliche Verlust von Förder-Mitteln aus dem EU-Budget ist der Punkt, wo solche Debatten ansetzen können. Strukturveränderungen können eine heilsame Wirkung entfalten.
Dennoch bleibt Europapolitik oft ein Fachthema. Wie lassen sich die Wähler motivieren?
Wir haben eine gravierend schlechtere Wahlbeteiligung als bei Bundestags- oder Landtagswahlen. Andererseits ist den meisten klar, das Europa enger zusammenwächst. Und eigentlich verstehen die Menschen, dass dazu das Europa-Parlament gestärkt werden muss. Die sogenannte grüne Klientel gilt nach allen Umfragen als europafreundlich. Für sie kann Europa auch eine Antwort sein auf Nationalismus oder Chauvinismus. Wir können da besonders gut mobilisieren – zumindest besser als die andern.
Beschreibt das nicht auch den allgemeinen Zustand der Grünen als Trend-Partei? Beim Bündnispartner der SPD weist der Trend kräftig nach unten.
Die Grünen als sozialökologische Bürgerrechtspartei liegen an wichtigen Themen für die Zukunft wirklich vorn. Wir sind in bestimmten Themen eine Avantgardepartei, so haben wir den Verbraucherschutz mitentwickelt und mitbesetzt. Andere haben da Nachholbedarf. Wir verbinden das programmatisch mit der sozialen Frage und der Frage der Bürgerrechte. Ich glaube, das wir am Puls der Zeit sitzen.
Aber wenn der politische Partner nicht mehr mitziehen kann?
Es gibt für die Grünen keinen Grund, überheblich zu sein. Ein Teil unserer Probleme kommt daher, dass wir in Koalitionen zu viele Kröten schlucken müssen. Aber Kröten muss man genau dann schlucken, wenn man nicht genug Prozente hat. Deshalb wollen wir politisch stärker werden. Die Sozialdemokratie machte den entscheidenden Fehler vor der Bundestagswahl, die Debatte um ihr Grundsatzprogramm zu vertagen. Dann ist man mit Versprechungen in die Wahlen gegangen, die sich nicht umsetzen ließen. Die SPD muss bei ihrer notwendigen Modernisierungsdiskussion die Fragen Bürgerrechte, Umweltpolitik und Verbraucherschutz wirklich würdigen. Jeder Versuch sich zu profilieren, in dem Innovation und Wirtschaft gegen Umweltschutz gegen Verbraucherschutz gestellt werden – einer Versuchung der die Sozialdemokraten immer wieder erliegen - wird ihnen nicht helfen.
Sozialdemokraten sagen, man habe bei den Reformen die eigene Klientel zu hart rangenommen und die Grünen geschont.
Diese Darstellung ist nicht zutreffend. Auch Wählergruppen, bei denen die Grünen politisch überrepräsentiert sind, wie Lehrer und Beamte haben Kürzungen hinnehmen müssen. Wir haben davor nicht zurück gezuckt, weil wir eine Notoperation am Haushalt machen mussten.
Abgesehen vom Landesvorstand, werden die NRW-Grünen mit den Ministern Höhn und Vesper in die Landtagswahl gehen?
Das werden wir auf dem Landesparteitag Ende November entscheiden. Ich gehe aber davon aus, das unsere beiden Minister wieder kandidieren werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen