piwik no script img

Eine runde Sache

Organische Architektur boomt. Der Einsatz von Computern hat dazu entscheidend beigetragen. Zudem passt ökologisches Bauen in unsere Zeit

von LARS KLAASSEN

Häuser sind keine Lebewesen, aber neuerdings sind immer mehr Neubauten – organisch! Viereckige Kästen werden zwar nach wie vor noch in die Welt gesetzt, aber es darf gerne mal etwas anderes sein: Geschwungene, dynamische, fragmentierte Baukörper sind keine Exoten mehr. Der Begriff „organische Architektur“ hat wieder Konjunktur. Stilistisch, inhaltlich und ideell wird das altehrwürdige Label auf Hochglanz poliert. Dabei schafft die Auseinandersetzung mit den Begründern und prägenden Vertretern dieser Strömung Orientierung auf dem Kurs ins 21. Jahrhundert.

„Organische Architektur gewinnt stark an Bedeutung“, sagt Rainer Köllner, der an der Technischen Universität Berlin Seminare über „Organisch anthroposophisch geprägte Architektur“ anbietet: Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der steigenden Nachfrage der Studierenden wider: „Zwischen 100 und 150 Studierende wollen mittlerweile pro Semester an dem Seminar teilnehmen.“

Das Spektrum organischer Architektur ist vielfältig. Vom Guggenheim Museum in New York über die Berliner Philharmonie bis zum Dach des Münchner Olympiastadions werden die unterschiedlichsten Entwürfe dieser Strömung zugeordnet. Ihre stil- und epochenübergreifende Offenheit allein erklärt aber nicht das wachsende Interesse in den vergangenen Jahren.

Dass schon Gaudí und Steiner zu Beginn des 20. Jahrhunderts die organische Architektur für sich entdeckten – und sie theoretisch wie praktisch prägten –, hat wenig mit den aktuellen Entwürfen und Projekten junger Architekten unserer Zeit zu tun.

Organische Formen in der Architektur verdanken ihren Erfolg nicht zuletzt dem Computer: Dieses Werkzeug ebnete erheblich den Weg zu Entwürfen jenseits kubistischer Raster. Aufsehen erregende Wölbungen, Falten und gekrümmte Flächen sind in weiten Teilen Kinder der digitalen Revolution. Eines der spektakulärsten Beispiele ist das Guggenheim Museum in Bilbao von Frank O. Gehry, das 1997 fertig gestellt wurde.

Doch nicht jede Wölbung ist organische Architektur. Eine stilistische und inhaltliche Grenze wurde bislang noch nicht definiert. Peter van der Ree hat dies versucht: Dabei wurden organische Architektur und organisches Design so weit gefasst, dass nicht nur eine – immerhin organisch geformte – Autobahnraststätte, sondern auch die Berliner U-Bahn-Züge einen Platz erhielten (siehe auch Kasten).

Am Computer lassen sich organische Formen mittlerweile zwar leicht kreieren. Doch darüber hinaus scheint die Welt digitaler Pixel wenig mit den Grundideen organischen Bauens zu verbinden. „Form follows function“, ist ja nur die halbe Wahrheit. In der Architektur spiegelt die Form auch immer ideelle Motive wider, einen Brückenschlag zwischen Funktion und Weltbild.

Das Motto „Zurück zur Natur“ ist zwar nicht mehr so laut in aller Munde wie noch vor zehn Jahren, aber nach wie vor präsent. Umwelt hat einen hohen Stellenwert – und von dort bis zu einer organischen Formensprache in der Architektur ist es nicht mehr weit. Die viereckigen Kästen aus den Sechzigern und Siebzigern sind nicht zuletzt deshalb ästhetisch in Ungnade gefallen, weil sie optisch im Gegensatz zur heilen Welt der Natur zu stehen scheinen.

Ökologisches und gesundes Bauen haben aufgrund eines Wertewandels an Bedeutung gewonnen. Ihre Maßstäbe sind völlig losgelöst von Stilfragen, aber inhaltlich an Nachhaltigkeit, Natürlichkeit und im weitesten Sinne an der Biologie orientiert. Darüber knüpft sich eine vage Verbindung zu den Prinzipien organischen Bauens. „Ein Hinausprojizieren der eigenen Gesetzmäßigkeit des menschlichen Leibes außer uns in den Raum ist die Baukunst, die Architektur“, proklamierte schon Rudolf Steiner. Ähnliches könnte heutzutage auch in einem Leitfaden für Architekten zur Vermeidung des „Sick-Building-Syndroms“ stehen.

Architektur als Gesamtkunstwerk beinhaltet heute einen ganzheitlichen Anspruch. Dieser Anspruch muss ästhetisch, sozial und ökologisch erfüllt werden. Köllner ist überzeugt: „Die kritische Auseinandersetzung mit organischer und auch anthroposophischer Architektur sowie ihre Weiterentwicklung sind dabei ein wichtiger Schritt.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen