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Ballermann an der Hornisgrinde

Schneemangel und Tourismuskrise: Im Schwarzwald fallen die letzten Hemmungen. Eine riesige Skihalle in 800 Meter Höhe soll die Wintersportler zurückbringen. 400.000 Skifahrer, so hoffen die Planer, werden sich jedes Jahr in der Kunstarena vergnügen. Nicht alle in der Region sind begeistert

Skihallen gehörten nach Tokio oder Bottrop, aber nicht in den Schwarzwald

von MANFRED KRIENER

Es geht um den größten Kühlschrank Europas. 420 Meter lang, 60 Meter breit, 15 Meter hoch und minus fünf Grad kalt – ein Klotz von wahrhaft monumentalen Ausmaßen. In seinem Innern werden weder EU-Rinderhälften noch Buttergebirge runtergekühlt, sondern irgendwann 400.000 Skifahrer pro Jahr. Die „Indoor Ski- und Snowboardhalle“ ist die Antwort des Schwarzwalds auf die Klimakatastrophe.

In Bottrop und Neuss stehen ähnlich künstliche Arenen. Jetzt wird das Mittelgebirge im Südwesten gestürmt. Erstmals dringen die Eventplaner in eine intakte Naturlandschaft vor. Statt Naturerlebnis und grandioser Winterlandschaft gibt’s künftig Diskosound, Flutlicht und Wedeln auf betonierter Buckelpiste.

Es ist in der Tat ein Novum: Gebaut wird nicht auf den Industriebrachen schneeloser Ballungsräume, sondern im schwarzen Wald in 800 Meter Höhe. Die Halle soll unweit jener verlassenen Lifte stehen, die in den letzten warmen Wintern trostlos vor sich hin rosteten – Zeugen fast vergessener Zeiten, als es im Winter noch zuverlässig schneite, und die Skifahrer johlend zu Tale sausten.

Vorbei! Die Klimaerwärmung hat den mittleren Schwarzwald als traditionelles Wintersportgebiet enteignet. Die Tourismusbranche will das nicht hinnehmen. Wenn Frau Holle den Dienst quittiert, schütteln eben andere die Betten aus: mit der Schneekanone.

Geplanter Standort der Skihalle, inklusive Zubehörshop und Hotelanlage mit 300 Betten, ist ein kleiner Ort am Westhang des Schwarzwalds, der bisher eher als Blumen-, Wein- und Fachwerkdorf um Naturliebhaber buhlte: Sasbachwalden. 2.400 Einwohner, Weinreben und Obstbau, viel Wald auf der Höhe, dazwischen Kurgäste, Winzer und kreuzbrave Bürger. Der Ort ist klein, mit denkmalgeschütztem Ortsbild, einer Goldmedaille für prächtigen Blütenzauber und „viel Ruhe und Behaglichkeit“ (Eigenwerbung).

Vor Jahren war er gar zum schönsten Dorf Deutschlands gewählt worden. Dort, am Rande des Schwarzwalds, wo das Klima leicht ist wie Sekt und die Uhren einen Tick langsamer gehen, hat das heftig umstrittene Projekt eine Region in Aufruhr versetzt.

Naturschützer, Alpen- und Schwarzwaldverein sind entsetzt, eine Bürgerinitiave sammelt Unterschriften. Jäger, Skifahrer, Gastronomen und Kommunalbeamte hauen sich die Stellungnahmen um die Ohren. Selbst Reinhold Messner, der Mann, der den großen und kleinen Yeti gesehen hat, funkt aus dem fernen Tirol Solidaritätstelegramme: Skihallen gehörten nach Tokio oder Bottrop, aber nicht in den Schwarzwald. Dort sei „der Erholungswert bald verspielt, wenn Laufställe für Skisportler mitten in die Naturlandschaft gestellt werden.“

Andere zitieren die Bibel („Wachet auf und seid wachsam!“) oder werden schon mal zynisch: „Als Nächstes wird der Mummelsee überdacht und ein Sandstrand angelegt!“, heißt es auf der Website der Bürgerinitiative des Nachbarorts Legelsau.

5 Hektar Wald sollen für die Skihalle abgeholzt, 11.000 Kubikmeter Erde abgetragen werden. 4,5 Millionen Kilowattstunden Strom und 13.000 Kubikmeter Wasser frisst die Halle im Jahr, damit auch im Sommer die Pisten flott sind. Das Konzept verspricht Skifahren bei 22 Prozent Hangneigung und staubtrockenem Pulverschnee an 365 Tagen. Geöffnet ist bis Mitternacht, Hüttenzauber inklusive.

Der integrierte Gastrobereich mit romantischer Atmosphäre und „Themengastronomie“ soll beim Après-Ski den Besuch „zum Allround-Erlebnis machen“. Alte Event-Hasen erinnert das ein wenig an Holzfällersteak und Schunkeln ab 1,2 Promille.

„Kleinkinderverhalten“ nennt Walter Trefz, Vorstandmitglied des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) im Südwesten, das Konzept des Indoor-Skifahrens quer durch alle Jahreszeiten: „Alles haben wollen, und zwar jetzt und sofort und immer.“ Trefz ist dagegen, fehlenden Schnee durch den technisch-chemischen Großangriff zu ersetzen und einen monströsen Fremdkörper im Schwarzwald zu platzieren. Damit werde die Natur zur Außenkulisse degradiert, zugleich sei das Projekt ein Türöffner für weitere Events.

Es stimmt, sagt Trefz, die globale Klimaerwärmung habe dem Schwarzwald den Schnee geklaut. „Aber als Konsequenz kann ich doch nicht den Wald als letzte Bremse der Klimaveränderung weghauen und einen Energie fressenden Megakühlschrank an seine Stelle setzen.“

Inzwischen zanken selbst die Skifahrer. Die örtlichen Skiclubs stehen zwar Brettl bei Fuß, aber der Vizepräsident des deutschen Skiverbandes, Erwin Lauterwasser, äußert sich skeptisch. Er hält solche Skihallen „nur in Ballungsräumen für angebracht“, der Standort mittlerer Schwarzwald sei bedenklich. Dagegen salutiert die Kreisjägervereinigung ausgesprochen freudig. Ihre Logik: Wenn das Volk in der Halle tobt statt in freier Natur, bleiben Fuchs und Hase ungestört. Die Grünröcke befürworten die Kunstarena.

Auch Sasbachwaldens Bürgermeister Valentin Doll wird nicht müde, für die Skihalle zu trommeln. Die Naturschützer versucht er mit dem Hinweis zu beruhigen, es handle sich bei dem abzuholzenden Wald ja bloß um „Fichten-Monokulturen (Franzosenhieb) von geringer ökologischer Wertigkeit“. Zudem werde sich der Baukörper sanft in eine kaum einsehbare natürliche Geländemulde einschmiegen. Man sieht förmlich, wie sich die Halle ins weiche Kopfkissen der nur zwei Kilometer entfernten Hornisgrinde reinkuschelt. Der Energiebedarf, behauptet Doll weiter, sei dem „eines städtischen Hallenbads vergleichbar“ und könne – alles öko! – teilweise mit Photovoltaik und Holzhackschnitzeln gedeckt werden. Zudem verspricht sich die Gemeinde 130 zusätzliche Arbeitsplätze sowie zusätzliche Pacht- und Gewerbesteuereinnahmen.

Doch der wirtschaftliche Erfolg ist längst nicht sicher. Ob in ländlich-knausriger Region tatsächlich 4 bis 5 Prozent der Bevölkerung innerhalb eines Einzugsgebiets von 90 Autominuten die Halle besuchen werden, scheint zumindest fraglich. Eintrittspreise von mehr als 20 Euro lassen auch den lockersten Pulverschnee ein bisschen matschig erscheinen.

Potente Unterstützung findet Doll für sein Lieblingsprojekt ausgerechnet beim Regierungspräsidenten in Freiburg, Sven von Ungern-Sternberg. Der adlige Amtsvorsteher muss zwar einräumen, dass solch ein Bau in den Schwarzwaldfluren gemäß gültigem Regionalplan niemals genehmigt werden könnte, weil in dieser sensiblen Region nur für den „Eigenbedarf der Gemeinde“ gebaut werden darf. Dennoch signalisiert Ungern-Sternberg seine Zustimmung. Der Regionalplan müsse halt geändert werden.

Derselbe Regierungspräsident hatte sich in der Vergangenheit als Kämpfer gegen die Windkraft einen Namen gemacht. Windräder kritisiert er als „gewaltige Industriebauten“, die „generell nicht in unseren Schwarzwald passen“. Er wolle „die sensible Landschaft Südbadens weitgehend schonen und ihre einmalige Schönheit für die nächsten Generationen erhalten“. Das Schönheitsideal gilt allerdings nur für Windräder, nicht für eine 420 Meter lange Skihalle – sie wäre das größte Gebäude in Baden-Württemberg.

Die Bevölkerung in und um Sasbachwalden ist gespalten. Die Stadt Bühl, die größte Gemeinde im Umland, hat sich überraschend scharf und einstimmig gegen das Projekt ausgesprochen. Von „ökologischem Schwachsinn“ war im Gemeinderat die Rede, von einem Bunker und Monsterding und davon, dass der Schwarzwald den Sasbachwaldenern schließlich nicht allein gehöre. Inn den nächsten Wochen steht die Halle in vielen anderen Nachbarortschaften auf der Tagesordnung. Die sind alle nicht begeistert, weil sie den Verkehr und Imageschaden fürchten und nichts davon haben. Deshalb unterschreiben viele die Protestaufrufe der Bürgerinitiative.

Vergangene Woche hat die BI der Landesregierung in Stuttgart schon mal 5.000 Protestunterschriften überreicht. „Eine erste Tranche“, meint Sprecher Lothar Himmel. Er sieht gute Chancen, die erste Skihalle in einem traditionellen Wintersportgebiet doch noch zu verhindern.

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