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„Ein Nein zur Türkei würde Europa schaden“

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde glaubt, dass ein EU-Beitritt die Integration in Deutschland erleichtert

taz: Herr Keskin, Sie haben Schröders Reise in die Türkei begrüßt. Was macht Sie so euphorisch?

Hakki Keskin: Der Besuch macht uns Mut. Die Äußerungen des Kanzlers waren eine wichtige Klarstellung, nach der Verwirrung, die Frau Merkel angerichtet hatte.

Glauben Sie, dass sich an der Haltung Deutschlands zu einem EU-Beitritt der Türkei nun nichts mehr ändern wird?

Das kann ich nur hoffen. Ich habe aber keinen Grund, es zu bezweifeln. Es ist uns bekannt, dass es auch in der SPD skeptischere Positionen gibt. Aber letztlich ist Schröder der Kanzler. Ich gehe davon aus, dass sein Wort gilt.

Auch sein Vorgänger Helmut Kohl hatte der Türkei Zusagen gemacht. Das hindert Merkel nicht daran, jetzt zu bremsen.

Ich halte das für absurd. Wenn sich diese Position durchsetzt, würde die EU ihre Glaubwürdigkeit verlieren. Der Türkei wurden jahrzehntelang Hoffnungen gemacht. Es gibt Verträge. Die Türkei verteidigt seit 50 Jahren als Nato-Mitglied auch die europäischen Werte. Mit ihrer Position steht Frau Merkel deshalb ja sogar unter den konservativen Politikern in Europa fast allein da.

Das kann man auch mutig finden. Von Schröder heißt es, ihm gehe es in Wirklichkeit nur um Stimmen türkischstämmiger Wähler. Hat er die sicher?

Keineswegs. Natürlich werden die Deutschland-Türken darauf achten, welche Parteien welche Positionen zu Themen vertreten, die sie betreffen. Da geht es nicht nur um den EU-Beitritt, sondern auch um die Migrationspolitik. Im Moment gibt es da sicher mehr Vertrauen zur SPD als zur Union. Es gibt aber auch viele Deutschland-Türken, die eigentlich eher konservativ sind. Deshalb halte ich es für dumm, wenn die Union dieses Potenzial brachliegen lässt. Offenbar haben das einige, wie Ole von Beust und Volker Rühe, inzwischen begriffen. Ich denke schon, dass die auch an Wählerstimmen denken, wenn sie einen EU-Beitritt positiver bewerten als Frau Merkel.

Warum ist der EU-Beitritt für die Türken hier so wichtig? Die meisten haben doch längst eine gesicherte Existenz.

Aber nur als EU-Bürger bekämen sie weitgehend gleiche Rechte und Chancen. Mindestens genauso wichtig ist aber auch die psychologische Wirkung der Beitrittsverhandlungen. Wenn diese jetzt gestoppt würden, was ich mir nicht vorstellen kann, würde dies als ein Signal verstanden, dass die Türkei gar nicht zu Europa gehören soll. Das könnte man nur so verstehen, dass auch die Menschen aus diesem Lande hier wenig zu suchen haben.

Welche Folgen hätte ein Nein zum EU-Beitritt aus Ihrer Sicht?

Hier würde es die Integration erschweren. Und in der Türkei würden sich diejenigen bestätigt fühlen, die schon immer sagen, die Europäer wollen uns eigentlich nicht haben. Ich glaube nicht, dass die Reformen zurückgedreht werden. Die sind unumkehrbar. Aber es wird viele geben, die sagen, unsere Zukunft liegt nicht in Europa, wir müssen uns anders orientieren.

Was heißt das?

Dass man sich stärker der islamischen Welt, den türkischsprachigen früheren Sowjetrepubliken oder Russland zuwendet. Damit würde sich Europa selbst großen Schaden zufügen. Ich kann nur lachen, wenn es jetzt heißt, die Aufnahme der Türkei würde sehr teuer. Das ist erstens langfristig falsch, weil die wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei sehr gut ist. Außerdem wird dabei die strategische Bedeutung der Türkei vergessen, die ja unbestritten ist. Die Türkei kann ein Modell sein für die gesamte islamische Welt. Ein Modell, dass die islamische Religion mit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie vereinbar ist. Das funktioniert aber nur, wenn die EU der Türkei jetzt nicht die Nase vor der Tür zuschlägt.INTERVIEW: LUKAS WALLRAFF

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