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Der freundliche Amerikaner

Man beschimpft ihn als „Jew Fucker“. „An guten Tagen nehm ich das nicht persönlich“, sagt Gedmin „Er kann Kritik aushalten“, sagt die Assistentin. Wer auf die Friedensdemos wollte, habe sogar freibekommen

aus Berlin KIRSTEN KÜPPERS (Text) und ANJA WEBER (Fotos)

Wenn man keinen Beruf hat, der einen einfängt am Morgen und wieder ausspuckt in den Feierabend um sechs. Wenn man selbst sein eigener Beruf ist und die Arbeit nie aufhört. Wenn man keinen Chef hat, sondern selbst der Direktor ist. Man ein Institut leitet, das Amerikaner und Europäer zueinander bringen soll. Überhaupt Amerikaner ist jetzt in Berlin. Die Tage gefüllt sind mit Terminen. Wenn die Menschen das Gesicht aus dem Fernseher kennen, die Autos auf der Straße auf Schritttempo abbremsen und die Fahrer irgendwas rausbrüllen zu einem. Wenn es auf der ganzen Welt gerade nur Leute zu geben scheint, die einen hassen oder lieben, nichts dazwischen. Wenn all das zusammenkommt, dann muss einer früh aufstehen, um es zu schaffen.

Jeffrey Gedmin, der Leiter des Aspen Instituts Berlin, ist an diesem Tag schon seit fünf Uhr früh wach. Jetzt ist es neun, und gleich kommt Reinhard Bütikofer hier ins Café im Berliner Regierungsviertel zum Frühstück, gelenkig schwingt sich Gedmin an den Tisch, bestellt gut gelaunt einen schwarzen Tee. Und da geht es schon los mit den Widersprüchen. Jeffrey Gedmin ist ein Kriegsbefürworter. Immer wieder hat er das gesagt: bei Sabine Christansen in der Show, in Zeitungsartikeln, im Radio. „Was will man eigentlich? Ein Foto von Saddam Hussein mit Ussama Bin Laden beim Biertrinken?“, hat er schon im Herbst ungeduldig gefragt, lange bevor der Krieg im Irak überhaupt angefangen hat. Gedmin hat sich öffentlich aufgeregt über den deutschen Bundeskanzler, über die Friedensdemos im Land, er hat den Einmarsch der Amerikaner in den Irak verteidigt mit scharfen Worten.

Dass so einer sich also schon morgens mit dem Bundesvorsitzenden der Grünen trifft, seinem „guten Freund Reinhard Bütikofer“, wie er sagt, einem Vertreter der deutschen Regierung, die er, der neokonservative Gedmin, so vehement kritisiert, wo man eigentlich meinen könnte, da gehe bestimmt gar nichts mehr an Kommunikation, und die beiden dann doch als scherzende Kumpels zusammensitzen – das kann einen wundern.

Aber das ist es ja, was den 44 Jahre alten Jeffrey Gedmin auszeichnet. Diesen hoch gewachsenen Mann im grauen Anzug, der seit etwas über einem Jahr das Berliner Aspen Institut leitet, der sich fremden Leuten vorstellt mit einem „Hi, I’m Jeff“ und der das 1974 als Think-Tank gegründete Institut völlig umgekrempelt hat mit seinem Führungsstil. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika stehen derzeit nicht zum Besten. Es ist Jeffrey Gedmins Job, sich darum zu kümmern. Aber statt Einigkeit zu suchen, rennt er herum und streitet sich. Er bezieht Position und polarisiert und trifft sich mit seinen Gegnern zum Frühstück. Was ist los mit diesem Mann?

Das Aspen Institut ist immer noch ein schön gelegener Bungalow draußen auf der Havelinsel Schwanenwerder mit Blick auf Segelboote und Wasser, eine vom Berliner Senat mitfinanzierte Einrichtung mit gut einer Hand voll Mitarbeitern, einem Keller voll Praktikanten und einem Angestellten, der in der Einfahrt den Kies recht. Die in der Vergangenheit eher elitären Veranstaltungen des Instituts hat Jeffrey Gedmin indes in die Cafés der Stadt verlegt, zu seinen Gästen zählen Leute wie Henry Kissinger und Angela Merkel genauso wie der grüne US-Präsidentschaftskandidat Ralf Nader oder der als künftiger Premier gehandelte Ahmed Chalabi vom Irakischen Nationalkongress (INC). „Mich interessiert kritische Auseinandersetzung mehr als Konsens“, sagt er. Früher war Jeffrey Gedmin High-School-Lehrer. Vielleicht deswegen.

Er geht in Kreuzberger Kneipen mit seinen Diskussionsrunden, er besucht Studenten in ihren Wohnungen in Prenzlauer Berg, er redet mit Busfahrern und der Bezirksgruppe von der CDU. Diese Umtriebigkeit in alle Richtungen, zusammen mit Gedmins eigenem kompromisslosem Eintreten für die US-Regierung in diesem Krieg, ist es, die das Aspen Institut wieder ins Gespräch gebracht hat. Deswegen klingelt ständig das Telefon auf Schwanenwerder, deswegen stapeln sich bei der Sekretärin die Einladungen auf dem Tisch, deswegen steht immer schon der nächste Journalist mit seinem Mikrofon vorm Tor, wenn Gedmin mit dem Taxi die Einfahrt herauffährt.

Gedmin wieselt also herein in sein Institut. Es ist jetzt 11.30 Uhr. Sie warten alle schon auf ihn: die Assistentin, die Praktikantin, der Reporter vom Radio, ein Polizist. Der Polizeibeamte ist da, weil am Morgen, als die Sekretärin aufgeschlossen hat, wieder etwas Hässliches an der Tür hing. Das hat es oft gegeben in den vergangen Wochen. Ein Transparent „Hass den Amerikanern“ an der Tür. Gedmin bekommt derzeit viele E-Mails: Fanpost und Hasstiraden von Gegnern, die ihm den Napalm-Tod wünschen, die ihn als „Jew Fucker“ beschimpfen und es auch sonst nicht nett mit ihm meinen. „An guten Tagen nehm ich das nicht persönlich“, sagt Jeffrey Gedmin. Er guckt aus dem Fenster. Die Sonne scheint. Heute ist ein guter Tag.

Wer sich trotzdem fragt, wie es geht, dass einer die Emotionen so hochtreiben kann, der muss nur zugucken, was passiert, als wenige Minuten später der Bus mit der amerikanischen Reisegruppe eintrifft. Es sind die „Patrons of the Chicago Philharmonic Orchestra“. Das Aspen Institut ist eine Station im Berlinprogramm, Gedmin soll ihnen den aktuellen Zustand des deutsch-amerikanischen Verhältnisses erläutern.

Er spricht eine Stunde lang. „Wenn wir das Thema Saddam Hussein nicht auf die Tagesordnung gesetzt hätten, hätte sich Gerhard Schröder niemals für die Menschenrechtsverletzungen dort interessiert“, ruft Gedmin. Er macht eine effektvolle Pause.

Die reichen alten Damen aus Michigan nippen an ihrem Apfelsaft und gucken skeptisch. Sie kennen diesen Mann nicht, der am Tisch sitzt wie ein sympathischer Junge und redet und gestikuliert wie ein abgefeimter Politiker. Gedmin sagt, dass der amerikanische Präsident eine schlechte Presse hat in Deutschland. Dass sich die Vereinten Nationen bei der Bewältigung internationaler Konflikte als müder Debattierclub erwiesen hätten. Dass die Amerikaner ihre Kinder in den Krieg geschickt haben und die Deutschen alles getan hätten, dass die Mission scheitert. Und in einem solchen Fall könne ja wirklich niemand mehr von einem alliierten Partner sprechen. Er glaubt nicht, dass die Amerikaner Syrien angreifen werden. Er macht ein paar Witze. Er sagt, dass er nichts weiß. Er erwähnt das Pentagon, und die Zuhörer ahnen einen ganzen Kopf voll Informationen, Zahlen und Hintergrundwissen, er erklärt, was seine Freunde in der Bush-Administration denken, er erzählt, was die Berliner Taxifahrer sagen. Er macht einen ehrlichen Eindruck.

Es dauert nur etwas mehr als 60 Minuten. Die Damen waren zuerst anderer Ansicht. Jetzt haben sie eine neue Meinung. Jetzt stehen sie in der Sonne auf dem Rasen und lassen sich fotografieren, Arm in Arm mit ihrem Freund Jeffrey Gedmin. Für einen kurzen Moment sieht alles sehr amerikanisch aus.

Aber dann ist es auch so, dass man sich gar nicht lange aufhalten kann mit der Zuneigung all dieser neuen Anhänger, weil schon wieder eine Journalistin wartet. Gedmin federt durch den Flur an seinen deutschen Mitarbeiterinnen vorbei, die auch alle ganz zufrieden sind mit diesem Chef. „Wir müssen ja nicht seiner Meinung sein“, erklärt die Assistentin, „er kann Kritik aushalten.“ „Wer auf die Friedensdemos wollte, hat sogar freibekommen“, erzählt eine Kollegin. Womöglich liegt es daran, dass Gedmin jetzt nicht als großer Triumphator auftritt, obwohl die Einnahme Bagdads schneller ging, als viele gedacht haben. Womöglich ist es auch einfach der Vorname, der Gleichberechtigung vortäuscht. Die Dame am Empfang sagt: „Er bleibt doch unser Jeff.“

Und vielleicht ist es das, was Jeffrey Gedmin den Deutschen zeigen will: dass man unterschiedlicher Ansicht sein kann und sich trotzdem nicht gleich hassen muss.

Wenige Minuten später hetzt er dafür schon wieder mit dem Auto in die Stadt. Er fliegt herein in die Filiale der amerikanischen Kaffeehauskette „Starbucks“ in der Friedrichstraße. Er ist so in Eile, dass ihm die Haare hinterherwehen. „Starbucks“ ist so etwas wie Gedmins zweites Büro. Nacheinander trifft er dort einen Exiliraner, zwei Berliner Politikstudenten und einen BWL-Professor aus Nürnberg. Es gibt ein bisschen Streit, wenig Gemeinsamkeit, viel Diskussion, und nur der Professor klopft ihm auf die Schulter und sagt: „Danke dafür, dass ihr den Irak befreit habt.“

Um 19.30 Uhr sieht Jeffrey Gedmin ziemlich müde aus, er reibt sich die Augen. Jetzt geht er noch ins Fitnessstudio. Dann muss er einen Artikel für die Washington Post schreiben. Morgen früh will er um 4.30 Uhr aufstehen.

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