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Noch ist die Braut nicht verkauft

Volksbegehren „Gesundheit ist keine Ware“ gegen Privatisierung des Landesbetriebs Krankenhäuser startet: LBK-Vorstand versucht, Gewerkschaft ver.di einen Maulkorb zu verpassen. Marburger Bund warnt vor Privatisierung der Hamburger Kliniken

„Das ist eher eine immunologische Abstoßaktion als ein geordneter Verkauf“

von KAI VON APPEN

Der Countdown zum Erhalt der staatlichen Krankenhäuser in Hamburg läuft. Ab Montag beginnt für zwei Wochen die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren „Gesundheit ist keine Ware“ der Gewerkschaft ver.di und des DGB-Hamburg gegen einen Mehrheitsverkauf des städtischen Landesbetriebs Krankenhäuser (LKB) durch den Rechts-Senat. Überdies liegen die Listen in den Orts- und Bezirksämtern zur Eintragung aus. Indes versucht der LBK-Vorstand zu unterbinden, dass vom Personalrat oder ver.di auf Personalversammlungen und auf den Klinik-Geländen für das Volksbegehren geworben wird. Ver.di-Landeschef Wolfgang Rose und die LBK-Personalratsvorsitzende Katharina Ries-Heidtke sind sich aber einig: „Das ist rechts- und verfassungswidrig – wir lassen uns keinen Maulkorb verpassen.“

„Für uns Gewerkschaften ist das erste Volksbegehren in Hamburg eine Bewährungsprobe“, gesteht Rose. „Wir müssen sehen, wie die Stadt damit umgeht“, sagt er, „denn es ist zugleich ein Zeichen gegen Privatisierung und der Beginn einer Wertediskussion, ob alle Bereiche des menschlichen Lebens der Ökonomie untergeordnet werden sollen.“

62.000 HamburgerInnen müssen sich in die Listen eintragen, dann ist der Weg zum Volksentscheid geebnet. „Wir hoffen auf 100.000 Unterzeichner“, so Rose. Dazu sollen auch eigens Betriebsversammlungen einberufen und genutzt werden. In Form eines Schneeballsystems sollen überdies die Listen per Mail verbreitet und über SMS-Handy-Mail zur Unterschriftenabgabe animiert werden.

Für Katharina Ries-Heidtke zeigt die „nervöse Haltung“ der LBK-Leitung, „dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Beschäftigten sind nicht bereit, nachdem wir den LBK in den Wettbewerb gestellt haben, sich verkaufen zu lassen“, beschreibt sie die Stimmung. „Es haben viele einen Haufen Überstunden, die sie jetzt an den Infoständen abbummeln.“

Unterstützung bekommen die LBK-MitarbeiterInnen vom Verband der Klinikärzte „Marburger Bund“. „Das ist eher eine immunologische Abstoßaktion als ein geordneter Verkauf“, bezeichnet der Vorsitzende und Ex-Ärztekammer-Präsident Frank-Ulrich Montgomery die Verkaufspläne des Senats. „Die Schwestern und Ärzte haben die Braut durch ihre Arbeit erst hergerichtet. Ohne das Problem der Pensionslasten ist der Landesbetrieb gesund und schreibt schwarze Zahlen“, sagt Montgomery. Es sei daher fatal und habe Folgen für die PatientInnen, „wenn künftig die Entscheidungen irgendwo in einer Chefetage in Neustadt an der Weinstraße fallen“.

Die Stadt Hamburg habe als Kommune und Bundesland eine flächendeckende medizinische Versorgung sicherzustellen. Denn jede Privatisierung zeige, so der Ärzte-Funktionär, dass danach die „Rosinenpickerei“ einsetzt. „Schon jetzt macht sich manchenorts eine Rettungswagenbesatzung unbeliebt, wenn sie einen alten Patienten mit einem Schlaganfall in eine Notaufnahme einliefert“, sagt Montgomery, „da wird nichts dran verdient“.

www.volksbegehren-hamburg.de. Auftaktveranstaltung morgen von 11 bis 14 Uhr. Alma Hoppes Lustspielhaus, Ludolfstraße 53 mit Kabarett „Die krummen Schwestern“ und Alma Hoppe, sowie Rezitation von Rolf Becker

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