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Von der Krise zur Stagnation und zurück

Paul M. Sweezy, der Marxist und Mitbegründer der „Monthly Review“, ist tot. Einflussreich war seine Theorie der kapitalistischen Entwicklung

In den 60er-Jahren wurde er zu einem der großen Mentoren der radikal-linken Bewegung auf beiden Seiten des Atlantiks. Paul M. Sweezy, der Ökonom, verband durchdringende Klarheit in der Darlegung der marxistischen Grundthesen mit einem eigenständigen Zugang zu den großen umstrittenen Fragen der Werttheorie, der Analyse des kapitalistischen Wachstums wie auch seiner Krise. Sweezy, der politische Aktivist, trotzte in der McCarthy-Ära der politischen Gleichschaltung, kämpfte später für die Bürgerrechte der Afroamerikaner, engagierte sich gegen den Vietnamkrieg und für die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. Ein Radikaler aus der nonkonformistischen Tradition, ein ökonomisch Wohlsituierter, der seine Klasse verriet.

Sweezy hielt Distanz zur marxistisch-leninistischen Orthodoxie und ließ sich – trotz vorsichtiger Sympathie für die Sowjetunion – auch nicht vor den Karren des Realsozialismus spannen. Sweezy, der Organisator, schließlich schuf mit seinem Freundeskreis ein Kristallisationszentrum der Linken um die Zeitschrift Monthly Review. Sie hielt der bis heute andauernden Zerrüttung marxistischen Denkens stand und präsentiert sich auch jetzt als wichtiges Diskussionsorgan der Linken. Bis ins hohe Alter bereicherte Sweezy die Monthly Review. Jetzt starb er, im Unterschied zu so vielen Genossen seiner Generation „lebenssatt“, im Alter von 93 Jahren.

Sweezys Gedankenwelt formierte sich während der großen Depression der 30er-Jahre. Seine einflussreiche „Theorie der kapitalistischen Entwicklung“, gleichzeitig Theoriekompendium und aktuelle Analyse, kreist um die drei Komplexe Krise, Stagnation und Monopolisierung. Die „Unterkonsumtion“, also die mangelnde Kaufkraft der Massen, ist für ihn hier einer der Schlüssel zur kapitalistischen Krise. Er nähert sich den linken Keynesianern an, ohne allerdings deren Therapievorschläge zu teilen.

In Zusammenarbeit mit dem früh verstorbenen Ökonomen und Freund Paul Baran brachte er nach dem Krieg und im letzten Drittel der langen Nachkriegskonjunktur das Werk „Monopolkapital“ heraus. Hier versuchen die beiden zu begründen, dass der Nachkriegsboom nur die Entwicklungstendenzen überdeckt hat, denen die von großen Monopolen beherrschte Wirtschaft der USA folgt und folgen muss. Die Monopole häufen den gesellschaftlichen Reichtum, den „Surplus“, auf, aber es fehlt ihnen, trotz des Militärkomplexes, trotz eines ebenso aufgeblähten wie schrottigen Konsumsektors, an profitablen Anlagesphären. Der Versuch der USA, zum Welthegemon aufzusteigen und die Länder der Peripherie zu kontrollieren, verschiebt das Dilemma nur räumlich und zeitlich, löst es aber nicht. Aus der Stagnation gibt es letztlich keinen Ausweg.

Sweezy blieb gegenüber einer möglichen Linkswendung der Arbeiterklasse in den entwickelten Industriestaaten reserviert, umso größere Hoffnungen setzte er in das sozialemanzipatorische Potenzial der unterentwickelt gehaltenen Welt. Er verkannte nicht die qualitativ neuen Elemente der „Globalisierung“, hielt aber an der Erklärung fest, dass die Globalisierung nicht zu einer Verbesserung der Lebenslage der Menschen in den Peripherieländern führen könne. Sie blieben für ihn Objekt der Ausbeutung durch die multinationalen Konzerne.

Lange Zeit sah es so aus, als ob die Stagnationsthesen marxistischer (wie nichtmarxistischer) Provenienz endgültig auf dem ökonomischen Theorie-Müllhaufen gelandet seien. Die Realität schien den Denkern des permanten Wachstums kraft „schöpferischer Zerstörung“ Recht zu geben. Offensichtlich ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen. Sweezy wusste zwar zum Schluss seines Lebens nicht mehr, wie ein „feasible socialism“ aussehen könnte, aber über das kapitalistische Weltsystem hatte er klare Vorstellungen. Der Test auf die Realität steht noch an. CHRISTIAN SEMLER

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