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Wo die Ziegen Steine fressen

Inmitten des Atlantiks, einige hundert Kilometer westlich von Senegal, liegen die Kapverdischen Inseln. Sie sind so staubtrocken wie reizvoll: Während Sal zum Baden einlädt, lässt sich auf Santiago die Geschichte des Archipels erkunden

von OLE SCHULZ

Bei der Ankunft auf der Insel Sal ist uns zunächst alles zu viel: die Kargheit der Landschaft ebenso wie die gleißende Sonne und der frische Wind. Am Strand reihen sich rechterhand mehrere Appartementanlagen bis zum westlichen Ende der langgestreckten Bucht, in der Mitte liegt der hölzerne Pier, links dahinter das Örtchen Santa Maria.

Auf dem internationalen Flughafen von Sal landen die meisten Touristen, die auf die Kapverden wollen; über die Hälfte von ihnen bleibt auch gleich auf dieser wüstenhaften und flachen Insel mit dem schönen Strand bei Santa Maria an der Südspitze. Dabei ist Sal nur eine der insgesamt neun bewohnten Inseln der Kapverden und platt wie eine Flunder, allein im Norden der 30 Kilometer langen und nur zwölf Kilometer schmalen Insel gibt es drei seltsam steil aufragende Hügel. Das dunkle Vulkangestein auf der Insel, auf dem wegen des Süßwassermangels so gut wie nichts wächst, erinnert an die Mondlandschaft.

Am nächsten Tag fallen uns allmählich mehr und mehr die Reize der Insel auf. Jeden Morgen gehen wir als Erstes auf den brüchigen Pier am Strand, wo Touristen und Einheimische den Fischern zugucken, die ihren Fang an Land hieven. Dort, wo auf dem Steg die Bretter durch das salzige Meerwasser marode geworden und weggebrochen sind, halten ein paar Kinder Angelschnüre mit Haken unter sich ins Wasser.

Überall sieht man überraschend viele junge Menschen: am Morgen beim Bäcker eine Hand voll Kinder, die von ihrem Müttern zum Einkaufen geschickt wurden; am Abend Jugendliche im hinteren Teil Santa Marias, dort, wo zwischen staubigen Straßen einstöckige, pastellfarbene Häuser im schlichten Kolonialstil vom portugiesischen Einfluss zeugen. Oft stehen junge Männer in Gruppen an den Straßenecken. Manchen sieht man an, dass sie außer dem, was sie anhaben, kaum etwas besitzen; andere wirken mit ihren Baggys und Markenturnschuhen so, als kämen sie direkt aus dem Ghetto in L. A. Wenn man sie anspricht, sind die meisten aber ungemein freundlich.

Außer sportlichen Aktivitäten am Strand und auf dem Wasser oder einfach in der Sonne zu schmoren hat man allerdings auf Sal nicht allzu viel zu tun. Neben dem Verwaltungszentrum Espargos in der Mitte der Insel gibt es nur zwei weitere Ortschaften: den Hafen Palmeira im Westen und das staubige Pedra Lume im Osten, wo Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Saline 30.000 Tonnen Salz im Jahr abgebaut wurden.

Bis Espargos kann man mit einem Sammeltaxi fahren, was man sich auf keinen Fall entgehen lassen sollte. Solche überall auf den Kapverden verbreiteten „Aluguers“ sind bis auf den letzten Platz voll gepackte Minibusse. Während die Landschaft an einem vorbeizieht, dröhnt aus den Autoboxen ein „Coladera“, der wie ein verlangsamter jamaikanischer Dancehall-Riddim klingt, nur dass die Lyrics in lieblichem „Crioulo“ gesungen sind.

Besiedelt wurden die „Inseln im Wind“ genannten Kapverden erst im Zuge des Sklavenhandels. Bald nach der Inbesitznahme durch die portuguiesische Krone Ende des 15. Jahrhunderts wurden die Kapverden zum Zentrum des transatlantischen Handels, den die Europäer mit afrikanischen Sklaven führten.

Heute sind die meisten Kapverdier so dunkelbraun, dass man meinen könnte, sie seien Afrikaner. Tatsächlich aber sind 70 Prozent Kreolen portugiesisch-afrikanischer Herkunft. Das schlägt sich auch in der Sprache nieder. Denn Portugiesisch mag Amtssprache sein – auf der Straße wird fast nur „Crioulo“ gesprochen, eine Melange aus altertümlichen Portugiesisch und afrikanischen Elementen.

Wieder ins Bewusstsein der westlichen Öffentlichkeit gelangten die Inseln in den letzten Jahren allenfalls durch den Erfolg von Cesária Évoras melancholischen Mornas. Die Sehnsucht nach einer verloren gegangenen Heimat, die sich in diesen Liedern spiegelt, ist auch ein Ausdruck der kapverdischen Geschichte. Seit Generationen verlassen Tausende wegen der wiederkehrenden Dürrekatastrophen die Kapverden.

Heute leben rund 440.000 Menschen auf den Inseln – fast doppelt so viele Menschen kapverdischer Herkunft wohnen in Übersee, vor allem in den USA. Mittlerweile verlassen zwar weniger Kapverdier ihre Heimat, geblieben ist aber die Abhängigkeit von Zahlungen aus dem Ausland, nicht zuletzt wegen der deftigen Preise für die fast ausschließlich importierten Waren.

Wir haben uns in den Kopf gesetzt, mit einer Fähre zu einer anderen Insel überzusetzen. Einen regelmäßigen Fahrplan gibt es nicht, und fast alle, die wir fragen, winken ab. Wir bleiben jedoch hartnäckig und fahren nach Palmeira, wo uns ein Hafenarbeiter versichert, schon morgen käme eine Fähre. Am Ende kommt auch ein Schiff. Allerdings startet die „Praia d’Aguada“ schließlich einen Tag später, und auch nicht nach São Vicente, wie angekündigt, sondern Richtung der Insel Santiago.

Zwölf Stunden Fahrt später landen wir in Praia, der Hauptstadt der Kapverden. Rund um das auf einem Plateau gelegene Zentrum ist die Stadt schnell gewachsen, unfertige Häuser ziehen sich bis in die Vororte – in nur zehn Jahren hat sich die Einwohnerzahl auf etwa 120.000 Menschen verdoppelt. Als Tourist ist es in Praia aber insgesamt eher etwas ungemütlich. Hin und wieder hört man auch Horrorgeschichten von überfallenen Touristen – Kriminalität auf den Kapverden ist allerdings glücklicherweise noch selten und ein recht neues Phänomen, von dem es heißt, dass es in Verbindung mit dem sich ausbreitenden Kokainhandel stehe.

Über eine holprige Kopfsteinpflasterstraße, einst von Sklaven unter großen Mühen errichtet, geht es durch die bizarre, braune Berglandschaft der Serra do Antonio in den Norden der Insel. Zwischendurch öffnen sich Einblicke in grüne „Ribeiras“, fruchtbare Täler, in denen Bananen und Mais angebaut werden.

Unser Ziel ist Tarrafal, ein Ort, von dem es heißt, er sei das tropische Juwel auf den ansonsten überwiegend staubtrockenen Kapverden. Tatsächlich ist Tarrafal ein lauschiges Plätzchen; geschützt wird die von Palmen gesäumte Strandbucht vom Monte Graciosa. Von Tarrafal aus lassen sich einige interessante Wanderungen unternehmen – in südlicher Richtung sind es zum Beispiel nur drei Kilometer bis zu einem Schauplatz der unrühmlichen portugiesischen Kolonialgeschichte: dem 1936 errichteten „Lager des langsamen Todes“. Hier inhaftierten die portugiesischen Militärs bis zur „Nelkenrevolution“ 1974 jahrzehntelang antifaschistische Landsleute und Unabhängigkeitskämpfer aus den portugiesischen Kolonien.

Auf dem Marktplatz Tarrafals wird uns klar, warum die Insel Santiago als die afrikanischste Insel der Kapverden gilt. Die meisten Frauen tragen wie in Westafrika bunte Kopftücher um den Kopf gebunden – allerdings ist die Auswahl der Stoffe freizügiger, bisweilen sind selbst US-amerikanische Stars-and-Stripes-Flaggen kunstvoll um den Kopf geschlungen. Viele der Frauen balancieren schwere Lasten auf ihren Köpfen, manchmal kilometerweit. Die Frauen haben hier in Tarrafal ohnehin das Sagen – zumindest sind sie es, die am härtesten arbeiten. Große Verantwortung müssen sie schon deshalb tragen, weil sie häufig die Kinder allein großziehen – eine Folge der traditionell polygamen Familienstrukturen auf den Inseln, denen auch der portugiesische Katholizismus nichts anhaben konnte.

Zurück in Sal, erzählt uns Nilda, die im Internetcafé arbeitet und uns ein Privatzimmer auf der Rückseite des Hauses vermietet hat, am letzten Abend von ihrem Leben. Umgerechnet nur 190 Euro im Monat bekommt sie für ihren Halbtags-Job im Internetcafé, kaum genug, um angesichts der hohen Lebenshaltungskosten ein sorgenfreies Dasein zu führen. Ein Teil ihrer Famile lebt in Portugal, Italien und den Niederlanden. Gerne würde auch Nilda ins Ausland gehen, um dort zu studieren, aber dazu fehlen ihr die finanziellen Mittel. Dass ihre Mutter mit drei verschiedenen Männern fünf Kinder hat, stört Nilda dagegen überhaupt nicht.

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