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der homosexuelle mann … von ELMAR KRAUSHAAR

… hat gern Sex. Und viel, sehr viel Sex. Das Vorurteil stimmt, und der Volksmund erzählt diesmal die Wahrheit. Bei allen Studien, die danach fragen, kommen Partnerzahlen heraus, bei denen jeder heterosexuelle Mann sich festhalten muss und neidisch wird obendrein. Der große Georges Simenon prahlte am Ende seines Lebens, er habe mit 10.000 Frauen geschlafen. Der schwule Mann muss solche monströsen Bilanzen gar nicht rausposaunen, das summiert sich im Laufe eines homosexuellen Lebens ganz von selbst.

Drei ältere Homosexuelle saßen kürzlich beim Tee zusammen und langweilten sich gegenseitig mit dramatisch aufgebrezelten Geschichten über ihre diversen Krankheiten. Bis der eine zum entscheidenden Punkt kam, und die anderen hörten zum ersten Mal richtig zu: „Ich habe nur noch einmal am Tag Geschlechtsverkehr – ist das nicht scheußlich? Aber ich kann einfach nicht mehr.“ – „Früher“, fuhr er fort und strahlte für einen Moment, „früher, da habe ich – mein Gott! – dreimal pro Tag abgespritzt. Und jedes Mal mit einem anderen Mann, versteht ihr?!“

Die Freunde verstanden, das große Palaver begann. Sie schimpften und zeterten und wollten sich überhaupt nicht mehr beruhigen: über die Ungerechtigkeit des Alters, über die Jugend, die viel zu schnell vergeht, und über die Bösartigkeiten und Zumutungen der neuen Zeit. „Vor dreißig Jahren – erinnert ihr euch noch? –, da konnte man von einer Klappe zur nächsten wandern und wurde überall von neuen Wundern und Herrlichkeiten erwartet. Da traf man aktive Türken auf der einen Klappe, auf der nächsten kamen die Jungs immer nach Schulschluss vorbei – na, und erst auf der Klappe am Hagenplatz, da war jede Nacht ein Fest!“

„Aber Klappen gibt es heute keine mehr, nirgends. Nur noch diese selbstreinigenden Euro-Fallen. Wo soll man da noch hingehen? In den Park? Die jungen Dinger laufen schreiend davon, wenn sie unsereins nur sehen.“ – „Und die Darkrooms, diese heuchlerische Erfindung der Achtzigerjahre. Nix da mit den demokratischen Verhältnissen, im Dunkel seien alle gleich. Ich komme in diese Kneipen überhaupt nicht mehr rein, ich bin denen zu alt. So einfach ist das!“ – „Und wir versuchen es immer noch mit unserem Zirkel. Einmal pro Monat treffen wir uns bei diesem pensionierten Juristen, der hat so ’ne schöne große Wohnung. Da haben wir dann gepflegt Sex miteinander. Aber wirklich gepflegt, gepflegt langweilig, immer das gleiche Programm, immer die gleichen Leute, der Nachwuchs bleibt aus. Die jungen Leute beißen einfach nicht an. Stellt euch vor, denen ist das zu spießig.“

Der homosexuelle Mann hat gern Sex und ganz viel Sex, der alte homosexuelle Mann ebenso wie der junge homosexuelle Mann. Daran halten beide entschlossen fest, selbst wenn alle Klappen der Welt geschlossen bleiben und kein Darkroom mehr seine Pforten öffnet. „Was sollten wir denn sonst machen den ganzen Tag?“, fragt der, der nur noch einmal kann pro Tag. Und freut sich auf den nächsten Tag wie ein kleines Kind auf Weihnachten.

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