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die angst vor der frühlingsrolle von RALF SOTSCHECK

Sterben die Iren aus? Sie rechnen jedenfalls fest damit. Seit der erste Fall von SARS bei einer Chinesin in Irland aufgetreten ist, macht sich Panik breit. Menschen, die mal in China waren oder jemanden kennen, der mal in China war, werden gemieden. Chinesische Restaurants gehen schweren Zeiten entgehen, denn niemand möchte sich in der Nähe einer Frühlingsrolle aufhalten.

In der Ankunftshalle des Dubliner Flughafens hat man einen „SARS-Informationsstand“ aufgebaut – und zwar genau dort, wo sich Heimkehrer und Verwandtschaft normalerweise in die Arme schließen. In Irland schließt sich niemand mehr in die Arme. Alle machen einen großen Bogen um den Informationsstand, als ob der bereits durch das Hinweisschild kontaminiert sei. Wer husten muss, tut das heimlich auf der Toilette oder zieht demonstrativ eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche, damit bloß kein falscher Verdacht entsteht.

Am liebsten würde man sämtliche chinesischen Einwanderer deportieren oder zumindest in Quarantäne stecken. Da es dafür keine rechtliche Handhabe gibt, verhindern die Iren wenigstens, dass noch mehr schlitzäugige Krankheitserreger auf die Insel kommen. So wurde die Olympiamannschaft aus Hongkong, die im nächsten Monat an der Behinderten-Olympiade in Irland teilnehmen wollte, kurzerhand ausgeladen. 97 Prozent der Einwohner von Clonmel in der Grafschaft Tipperary, wo das Team untergebracht werden sollte, begrüßen die Entscheidung des Stadtrats, behauptete Stadtrat Phil Prendergast.

Dabei steht noch nicht einmal endgültig fest, ob die Chinesin, die die Panik auslöste, überhaupt SARS hat. Das Gesundheitsministerium und die Gesundheitsämter haben unterschiedliche Diagnosen gestellt, weil es niemanden gibt, der im chaotischen Gesundheitswesen einen Überblick hat. Das irische Seuchenzentrum und die Fachärzte im öffentlichen Dienst sind unterdessen in den Streik getreten, was zwar nichts mit SARS, sondern mit Gehaltsforderungen zu tun hat, aber die Panik in der Bevölkerung hübsch anheizt.

Darüber hinaus hat Finanzminister Charlie McCreevy gerade den Gesundheitsetat erheblich eingeschrumpft. Folge ist, dass künftig ein Fünftel weniger Patienten in den Krankenhäusern behandelt werden können als bisher. Zum Glück wird der Papierkram aber weiterhin zuverlässig erledigt, denn in Irlands Krankenhäusern kommen auf jeden Arzt fünf Verwaltungsangestellte. Die fetten Jahre seien eben vorbei, meint McCreevy, die Leute müssen den Gürtel enger schnallen, und das gelte auch für das Gesundheitswesen. Für Politiker hat das auf der Vetternwirtschaftsinsel freilich noch nie gegolten. McCreevy und seine Ehefrau sind gerade dem exklusiven Carton House Golf Club beigetreten. Die Aufnahmegebühr betrug 70.000 Euro – das Dreifache des durchschnittlichen Jahreseinkommens eines Arbeiters.

Man sollte den McCreevys ein Thermometer dorthin schieben, wo es besonders unangenehm ist. Vielleicht leiden sie ja unter einer signifikanten Attacke roher Skrupellosigkeit.

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