: Sendeplatzverweis
Der ARD-Rundfunkrat hat vergangenen Freitag beschlossen, ab 4. August die „Sesamstraße“ in den Sparten-, weil Kinderkanal zu verbannen
von SILKE BURMESTER
Sind ja nur 30 Minuten, könnte man meinen, sollen die lieben Kleinen doch etwas anderes gucken. Pech ist nur, dass zu dieser Uhrzeit nichts Vergleichbares läuft. Zum einen sind dies die einzig täglichen, terrestrisch zu empfangenden Kindersendungen in Norddeutschland. Zum anderen halten nicht alle Eltern das Alternativprogramm des Kika mit den Zeichentrickserien „Biene Maja“ oder „Sissi“ für geeignet. Schon vor Jahren haben sich ARD und ZDF auf ihren gemeinsam produzierten Kindersender Kika zurückgezogen und sukzessive ihre Kindersendungen dahin verbannt. Einzige Ausnahme: der Sonntag, an dem die ARD um 7.30 Uhr die „Sesamstraße“, um 11.30 Uhr „Die Maus“ sowie ab und an eine Serie zeigt. RTL 2 wird mit „Chipmunks“, „Yu-Gi-Oh!“ und „Pokémon“ zwar von den Kids angenommen, darf aber doch als pädagogisch eher trübe eingestuft werden.
Es ist nicht so, dass die ARD sich nicht alle Mühe gäbe, „Kinder in die erste Reihe“ zu setzen, wie Intendant Jobst Plog vollmundig in dem Presseheft zum großen ARD-Kinderfest am 1. Juni verspricht. Aufwändige Eigenproduktionen wie etwa „Die Pfefferkörner“ machen diese Absicht deutlich und sollen Qualität sichern. Im März fand in Hamburg der ARD interne Zukunftsworkshop „Die Welt der Kinder 2020“ statt, auf dem Mitglieder der Familienredaktionen mit Experten Leitlinien für ein zukünftiges Kinderfernsehen entwarfen.
Es ist nur so, dass keiner sagt, wo diese Welt, diese erste Reihe sich befindet. In der Mitte der Gesellschaft jedenfalls nicht. Kinder, das macht die Entscheidung des NDR deutlich, sind kein Teil des Gesamten. Sie werden in Spatenkanäle verbannt, wodurch sich die Erwachsenen auch den Themen der Kinder entziehen. Kinderfernsehen wird von Erwachsenen benutzt wie die Kinderecke bei Ikea. Abgeben und aufgehoben wissen. Das Zeichen aber, das dies an den Nachwuchs gibt – nicht bereit zu sein, sie als Teil des Ganzen zu sehen und ihnen damit selbstverständlich einen Raum in der Gesellschaft und auch im Fernsehprogramm zu geben – vergegenwärtigt sich derzeit kaum jemand.
Kika bis 22 Uhr
Aber es ist ja alles nicht so schlimm. Die „Sesamstraße“ wird ja nicht abgeschafft, man kann sie um 7.30 Uhr im Kika gucken oder eventuell auch mittags. Und eine gute Nachricht für alle, deren Kinder schon etwas älter sind: Die Sendezeit des Kika soll bis 22 Uhr ausgeweitet werden. Medienpädagogik pur. Um die sorgt sich auch Bundesfamilienministerin Renate Schmidt. Zwar machen sich nur wenige Fernsehzeitschriften die Mühe, das Kinderfernsehprogramm in seiner Gänze abzudrucken, doch sitzen bereits die 3- bis 5-Jährigen durchschnittlich 76 Minuten vor dem Fernseher, die 6- bis 9-Jährigen sogar 96 Minuten. Schmidts neues Projekt „Schau zu!“ soll Eltern und Kinder in ihrer Mediennutzungskompetenz stärken.
Aber nicht nur die Bundespolitiker machen sich Sorgen. Auch die Politiker der Hamburger Parteien waren mächtig empört über die Pläne des NDR. Lautstark äußerten sie sich über den Verlust von Medienkultur. Freilich auch die Regierungsparteien, die kurz zuvor mit dem neuen Hamburger Mediengesetz das Vielfältigste aller Hamburger Programme zu Fall gebracht hatten: den Offenen Kanal (siehe rechts).
Mit der Verbannung auf den Kika ist nicht das Aus der „Sesamstraße“ beschlossen. Die Verträge zur Produktion laufen laut NDR noch bis 2009. Sicher aber ist das Verschwinden der Sendung und ihrer Figuren aus der öffentlichen Wahrnehmung – und damit die Möglichkeit für medienkritische Eltern, über Jahre mit einer einzigen Sendung ihre Kinder zu beglücken.
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