: Per SMS nach Istanbul
Max fährt für Deutschland zur Eurovision. Ist sein Mentor Stefan Raab nun der neue Ralph Siegel? Und warum wurde WestBam von der Polizei abgeführt? Ein Rückblick auf „Germany: 12 Points“
VON JAN FEDDERSEN
The Boy Next Door. 92,05 Prozent aller Anrufe und SMS-Voten hat er im Finale bekommen, Scooter hingegen nur 7,95 Prozent. Maximiliam Mutzke, 22 Jahre, Schüler, hat dieses Ergebnis erzielt. „Can’t Wait Until Tonight“ heißt sein Titel, und seinetwegen darf er nun am 15. Mai nach Istanbul zur Eurovision fahren. Max sagte nur: „Ich bin überrascht.“ Und: „Ich war aufgeregt.“ Er, der aussieht wie der Junge von nebenan, blieb an diesem Abend der Einzige, der das auch so sah.
Warum hat er gewonnen? Weil er bei Stefan Raab die Castingshow gewonnen hat? Weil die Promotion für ihn auf Hochtouren lief? Quatsch. Er war einfach derjenige, der am stärksten gewinnen wollte. Und: Max ist der erste erfolgreiche deutsche Grand-Prix-Interpret, der es ohne die Bild-Zeitung geschafft hat. Die nämlich hatte über Nacht beschlossen, fast nix über die Sendung „Germany 12 Points!“ zu machen.
WestBam, eigentlich Maximilian Lenz, hatte Mut. Er sang irgendwas mit Afrika Islaam („Dancing With The Rebels“) – und das in Deutschland. TED-technisch rangierte er unter „ferner liefen“. Und war mürrisch: Max sei „mau“, Stefan Raab der Ralph Siegel der Neuzeit und der Wettbewerb überhaupt ein Witz, weil gute Musik bestraft werde. Er musste das sagen, denn ein WestBam, der cool Respekt zeigte vor einem, auf den sich das Publikum generationenübergreifend einigen konnte, der könnte einpacken: Seine Schnöselkreise nähmen ihm übel, einverstanden zu sein außer mit sich selbst und den seinen.
Max-Hass. Der Technoprinz hat Chancen, beim Verein „Ich wenigstens verabscheue Max (in Gründung)“ Ehrenmitglied zu werden. Der Clou: Das würde Max sogar nützen.
Benjamin von Stuckrad-Barre war der Pate WestBams an diesem Abend. Er riss Moderator Pilawa das Mikro aus der Hand und kläffte Bewusstloses. Es war der allerletzte Beweis, dass der Mann begnadet schreibt, aber keine Ahnung von Pop hat.
Lag Max’ Sieg an der Castingshow? Unfug. Wer an Verschwörungen dieser Art glaubt, hängt immer noch stalinistisch inspirierten Manipulationstheorien an. Tatsächlich wird Elli (DSDS) niemals geliebt werden – Max aber wäre vom TED- und SMS-Volk nie gewählt worden, hätte er es nicht verführen können.
Haben Scooter den zweiten Platz verdient? Klare Sache: ja. Die drei Technomacker aus Hamburg, weltweit echt bekannt, waren würdige Konkurrenten von Max im Finale. 7,45 Prozent schafften sie im ersten Wahlgang – und waren die beste Reklame für ihre Musikgattung. Ballermannmäßig sauscharf!
Waren Sarah Kuttner und Jörg Pilawa als Moderatoren akzeptabel? Natürlich. Sie war grandios, ein lebender Wortschwall im Kleid mit Abba-Schärpe auf dem Busen. Sie ist die größte Distanz zur Ästhetik der Carolin Reiber. Er war einfach ARD. Das heißt: Man fand sie gräulich, ihn okay. Spricht dafür, Frau Kuttner weiter zu beschäftigen. Pilawa bleibt ja ohnehin.
Was muss geschehen, damit man gewinnt? Man muss wollen und nicht am Mikro professionelles Des- oder Pseudointeresse (Overground, Laith al-Deen, Patrick Nuo) verströmen. Es braucht außerdem einen Titel, der ins Ohr fließt wie erwärmter Honig. Max hatte seine Chance, und er nutzte sie.
Ist Stefan Raab der neue Ralph Siegel? Vielleicht. Und wenn ja: Na und?
Wo war Ralph Siegel? Nicht in der Berliner Arena.
War die Quote gut? Zur gleichen Zeit sahen mehr Menschen „Siska“ und „Soko Leipzig“. Der NDR bilanziert: Es guckten etwa 5,5 Millionen Menschen zu. Aber: Der Anteil der Jungen zwischen 14 und 49 Jahren lag bei bis zu 41,2 Prozent.
Marktbilanz: „Die ARD hatte in diesem Segment Jahrzehnte nicht diese hohe Quote“, Jürgen Meier-Beer, NDR-Grand-Prix-Chef. Menschen jenseits der 49 guckten fast gar nicht diese Show, die einst (zu oft: zähen, siegelesken) Schlager transportierte. Nun, da die kriselnde Musikindustrie dem NDR, mithilfe von Viva, Berühmtheiten ins Feld stellte, darf auch Pop inszeniert werden: Diese Krise möge nicht enden.
Hype um Max? Vorläufig höchstens virtuell. Bis 19. April, dem Tag seines Abiturs, wird ihn das Stefan-Raab-Team von der Öffentlichkeit abschirmen.
Eine Bitte: „Einige Zeitungen schrieben, meine Freundin kommt aus Äthiopien. Stimmt. Ihr Name schreibt sich aber mit z, nicht mit s“ (Max, scheu in Reporterblöcke diktierend).
Max? An All-German Boy, Untertitel, quasi: meets Joe Cocker and Early Johnny Logan with a little help from some friends.
Istanbul? Am 15. Mai, 21 Uhr. Maximiliam Mutzke kann gewinnen. Als erster Deutscher seit Nicole 1982. Er muss auf der Bühne nur wieder eine Clubatmosphäre zaubern. Seinen Club.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen