: Politik: bildlos
100 Kleisterwerke (100): Arie Hartog, Kustos am Marcks-Haus, vermisst wahre Wahlkampf-Kunst
Von Arie Hartog
Ich bezweifle, ob Kunsthistoriker die ausgewiesenen Personen sind, um Wahlplakate zu kommentieren. Indem wir vorführen, dass wir einer noch so platten Bildsprache etwas tieferes kunsthistorisches abgewinnen können, bestätigen wir Vorurteile gegen unser Metier.
„Viel Gunst für schlechte Kunst“ war ja nicht umsonst der Titel eines Bestsellers, der sich gegen diesen Beruf richtete, und nun geben wir schwachen politischen Plakaten unsere Aufmerksamkeit? Als hätte das, was sich da auf Bremens Straßen abspielt, etwas mit Kunst zu tun.
Es sollte bitte nicht der Eindruck entstehen, als würde nur dieser Berufszweig etwas über die visuelle Kultur in dieser Stadt zu sagen haben. Für jeden Bürger, der seine Augen offen hat und darüber kommuniziert, ist es jedoch eine interessante Übung, dieses visuelle Trauerspiel zu analysieren; zu Fragen, mit welchen Mitteln hier um die Gunst der Wähler gebuhlt wird.
Wer genau hinsieht, entdeckt einige auffällige Tendenzen, die - abhängig von den eigenen politischen Vorlieben – zu ziemlich weitführenden und auch beunruhigenden Interpretationen führen können. Erstens brauchen die Oppositionsparteien in ihren Plakaten mehr Wörter als die beiden regierenden Parteien – und je extremer die Position ist, desto weniger Bild findet sich auf den Plakaten. Bilder (nicht die Porträts) sind mehrdeutiger, direkter und offener als bloßer Text und aus ihrem Gebrauch lässt sich wohl Selbstvertrauen ableiten: man darf dieses Plakat auch anders verstehen (woraus sich dann gar Demokratievertrauen ableiten ließe).
Zweitens findet zwischen SPD und CDU über die Plakate ein Streit über die sogenannte Neue Mitte statt, die sich ja links von rechts und rechts von links befinden soll. Um diese mystische Wählerschaft zu erreichen, verzichtet Perschau auf seine Krawatte, während Scherf das Attribut zur Schau stellt. Die Neue Mitte sind also die, welche die Krawatte flexibel einsetzen, woraus sich einiges über das politische Niveau in diesem Land schließen ließe.
Drittens offenbaren Links und Rechts eine komplett andere Auffassung von Realität. Während Grüne und SPD ihre Motive in einer Umgebung fotografieren, haben FDP und CDU ihre Spitzenkandidaten getrennt fotografiert und dann in Bremische Motive (Sögestraße, Hafen, Marktplatz) hineinmontiert. Ich finde diesen letzten visuellen Code beunruhigend, da er letztlich zeigt, dass diese Politiker ihre Aufgabe auch ohne Bremen denken. Man könnte sie überall hineinsetzen.
Es gibt in diesem Trauerspiel eine Ausnahme und das ist mein Lieblingsplakat, weil es im Gegensatz zu allen anderen Plakaten etwas über eine Abbildung vermittelt, und darin weiter geht als die mystisch-politische Tiefe der Krawatte: Das Plakat mit den Kindern, worüber ein grüner Autor „Das sind unsere Großprojekte“ gedichtet hat. Dieses Plakat hätte Wirkung auch ohne Text.
Stärker sogar: Der Text nämlich reduziert es zu einem bloßen Bremer Wahlplakat. Nur die positiv besetzte Farbe und das Foto reichen jedoch schon um Themen wie Zukunft, Neugier, Hoffnung, Freude, Anpacken usw. zu vermitteln. Wer diese Qualität in diesem Bild erkennt, sollte sich bald mal wieder Kunst ansehen. Nach der nächsten Wahl wird es davon wieder weniger geben.
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