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Die Welt sah einfach zu

Heute vor zehn Jahren begann in Ruanda der schnellste Völkermord der Weltgeschichte. Innerhalb von 100 Tagen wurden bis zu eine Million Menschen abgeschlachtet. Die internationale Gemeinschaft griff nicht ein, obwohl sie wusste, was geschah

Bis heute suchen die Menschen Ruandas nach einer Erklärung. Wieso sah die Weltgemeinschaft seelenruhig zu, als in der Nacht zum 7. April 1994 radikale Milizen und Soldaten anfingen, in Ruanda systematisch alle Tutsi zu töten sowie jeden, der sich der damaligen Regierung entgegenstellte. Wieso konnte dieses Morden drei Monate lang ungestört weitergehen? Eine Erklärung oder gar eine Entschuldigung derer, die zum Eingreifen in der Lage gewesen wären und es nicht taten, gibt es bis heute nicht. Stattdessen begeht die UNO den 10. Jahrestag des Genozids mit einer Schweigeminute. Sie demonstriert Sprachlosigkeit.

Die Großmächte der Welt schauten während des Genozids, der rund 100 Tage dauerte, nicht weg – sie schauten zu. Ausländische Kampftruppen evakuierten Ausländer aus Kigali, während die Milizen in aller Ruhe ihr Abschlachten fortsetzten. Als UN-Kommandant Romeo Dallaire eine Truppenverstärkung forderte, wurde er zurückgepfiffen. Die Mächtigen der Welt wussten längst genau Bescheid über das, was geschah. Frankreich hatte die Milizen mit aufgebaut und wusste, wozu sie fähig waren. Monate vor dem Genozid verbot die UN-Zentrale in New York der UN-Mission in Ruanda, illegale Waffenlager dieser Milizen auszuheben. Keine der zu einem Eingreifen fähigen Mächte der Welt fand allerdings die systematische Ermordung hunderttausender Ruander wichtig genug, um selbst etwas dagegen zu tun.

Heute ist Dallaire als einziger der damaligen internationalen Akteure bei den Gedenkfeiern, mit denen Ruanda den 10. Jahrestag begeht. Kofi Annan, Butros Butros-Ghali, die Entscheidungsträger in Frankreich, Belgien und den USA damals – sie alle fehlen. „Der internationalen Gemeinschaft war Ruanda völlig egal“, sagte der kanadische General gestern in Kigali. In der taz warnt Dallaire heute: „Millionen Unschuldige werden sterben, weil wir es noch immer nicht schaffen, die Menschheit als Ganzes zu begreifen.“

Noch steht der Beweis aus, dass in einer ähnlichen Situation wie Ruanda 1994 irgendwo auf der Welt heute die internationale Reaktion eine andere wäre. Auch Ruanda bleibt für uns schließlich trotz der damaligen Ereignisse ein fernes kleines Land, von dem wir wenig wissen. D.J.

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