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Das Projekt namens Frieden

Kriegsunwille vor Rumsfeld: Die Schau „Idee Europa – Entwürfe zum Ewigen Frieden“ im Deutschen Historischen Museum zeigt den Zusammenhang von europäischer Friedensordnung und Einheit

Nicht Frieden, sondern Krieg bestimmte lange unsere Geschichte

von CHRISTIAN SEMLER

Nichts hat das zerbrechliche Schiffchen namens „Identität Europas“ so sehr in Fahrt gebracht wie Donald Rumsfelds Kanonade gegen den kriegsunwilligen „alten“ Teil des Kontinents. Die amerikanische Hegemonialpolitik des präventiven Antiterrorkrieges hat dafür gesorgt, dass in der europäischen Öffentlichkeit die Idee eines vereinten Europa eng mit der Idee des Friedens verknüpft wird. Marie-Louise von Plessens Projekt „Idee Europa – Entwürfe zum Ewigen Frieden“, das jetzt im neu eröffneten Berliner Ausstellungsbau I. M. Peis Gestalt angenommen hat, hat diese jüngste Wendung des Zeitgeistes ingeniös vorweggenommen. She knew, which way the wind would blow.

In neun chronologisch geordneten Kapiteln breitet die Ausstellungsmacherin ihre reiche Sammlerbeute im Unter- wie im Obergeschoss des Pei-Baus aus. Unten liegen, gut ausgeleuchtet in mannshohen Glaskästen, die Zeugnisse vom griechischen Mythos des Raubs der Europa bis hin zum Vorabend des Ersten Weltkriegs. Das Obergeschoss versammelt Dokumente vom Völkerbund über die Pan-Europa-Bewegung bis zur Europäischen Union unserer Tage.

Natürlich zieht das Untergeschoss mehr Aufmerksamkeit auf sich, stellt es doch eine erlesene Auswahl größtenteils originaler Werke dar, die in dieser Zusammenschau sonst nirgendwo zu besichtigen sind. Der schaulustige Besucher wird beispielsweise mit einer Reihe von Buchmalereien erfreut, so der ersten wundersamen, dem mittelalterlichen Weltbild folgenden Landkarte Europas, die dem Leser von Umberto Ecos „Baudolino“ bereits vertraut ist. Hingegen überwiegt im Obergeschoss mit Plakaten und Fotos das didaktische Moment. Wo sich Originale finden, Vertragsurkunden beispielsweise, sind sie der Aura entkleidet. Wir befinden uns nun mal im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit.

Bei ihrem Rundgang durch die europäische Geschichte sah sich von Plessen einer einfachen, aber schwer zu bewältigenden Schwierigkeit gegenüber. Nicht Frieden, sondern Krieg der europäischen Staaten gegeneinander bestimmt über weite Strecken das Geschick des Kontinents. Zwar existiert bis in die frühe Neuzeit der gemeinsame christliche Bezugspunkt. Der aber wird stets nur deutlich, wenn es kriegerisch gegen die Ungläubigen losgeht, erst in den Kreuzzügen, später im Kampf gegen die „türkische Gefahr“. In dem Maße, in dem das Christentum seine Bindungswirkung verliert und die Staatsräson triumphiert, unterliegt das Kriegführen nur noch dem rationalen Kalkül, ist befreit von Rechtfertigungszwängen. Erst in der Aufklärung artikuliert sich im Gegensatz zum absoluten Fürstenstaat ein Zusammenhang zwischen europäischer Friedensordnung und europäischer Einheit. Ihn wird die Arbeiterbewegung beerben. Bei von Plessen aber erscheint jeder Friedensschluss als Vorbote einer künftigen europäischen Friedensordnung.

Wo beim Ausgang des Mittelalters und in der frühen Neuzeit von Europas Einheit und vom Frieden die Rede ist, handelt es sich um ideologische Verkleidungsformen, sei es des Zugs der Habsburger zu einer Universalmonarchie, sei es des französischen Hegemonialstrebens. Von Plessen hingegen nimmt solche Projekte für bare Münze. Besonders der Komplex der Türkenkriege erscheint bei ihr als wirkungsmächtiges Instrument innereuropäischen Einigungsstrebens. So interessante Details wie das Bündnisangebot des Borgia-Papstes Alexander VI. an den türkischen Sultan gegen Frankreich haben in einer solchen Geschichtsbetrachtung keinen Platz. Und wie steht es mit demprotestantische Kampfruf „Lieber Türk als Pfaff“?

Auch die Präsentation der aufklärerischen Friedensprojekte begegnet Zweifeln. Es wäre sinnvoll gewesen, den engen Diskussionszusammenhang, der zwischen dem Friedensprojekt des Abbé St. Pierre, dessen kritischer Übernahme durch Rousseau und schließlich Kants großer Schrift „Zum ewigen Frieden“ besteht, in der Ausstellung auch deutlich zu machen. Stattdessen sind die ausgestellten Erstschriften auf zwei verschiedene Räume verteilt, die Bedeutung von Kants Friedensprojekt gerade für die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Hegemonismus der USA lässt sich nur erahnen. All diese Einwände bezeugen indes, welches reiche Material von Plessen für eine kritische Reflexion bereitgestellt hat. Nicht zu vergessen das Vergnügen angesichts mancher Ausstellungsobjekte, etwa der Stereotypetafel Tiroler Provenienz, wo stichwortartig die Haupteigenschaften der europäischen Völker aufgelistet sind. Was wäre Völkerverständigung ohne Stereotype!

Auch im Obergeschoss lässt sich manche überraschende Entdeckung machen. Rumsfelds „Neues Europa“ beispielsweise hat in der Ausstellung gleich zwei Vorläufer. Im Rahmen einer exquisiten Plakatzusammenschau über die NS-Europapropaganda sehen wir das „Neue Europa“ auf einer Landkarte des Jahres 1941, nach dem Angriff auf die Sowjetunion. Und für das „Neue Europa“ setzt sich nach 1949 auch die SPD ein, wobei allerdings die Grenzen Europas Richtung Osten in Dunkel gehüllt werden. Trotz des Siegeszugs der EU sind wir hier noch nicht viel klüger geworden.

Bis 25. August, Katalog 25 €

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