: Der „Eisige“ sitzt jetzt auf der Anklagebank
Serbiens Exgeheimdienstchef, Jovica Stanisić, wurde gestern an das UNO-Tribunal in Den Haag ausgeliefert
Die „Numero zwei“ schloss sich gestern der „Numero eins“ im Gefängnis des UN-Tribunals in Den Haag an. Jovica Stanisić, der ehemalige „allmächtige“ Chef des serbischen Geheimdienstes, und sein ehemaliger, „unantastbarer“ Präsident, Slobodan Milošević, werden sich im Gerichtssaal so einiges zu sagen haben. Wenn sie nur wollen.
„Ich werde in Haag nicht als Zeuge aussagen. Wenn gegen mich Anklage erhoben wird, werde ich mich freiwillig stellen und meine Unschuld beweisen“, erklärte Stanisić vor einem Jahr. Nun ist der „Eisige“, wie man ihn bezeichnete, wegen der „Kommandoverantwortung“ für die in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt worden. Stanisić soll die meisten serbischen paramilitärischen und Sondereinheiten gegründet und kontrolliert haben.
Dem Mann, der „wusste, wer was in Serbien isst, denkt und träumt“, wird aber auch nachgesagt, die „Hälfte“ der serbischen Opposition gegründet und aus Quellen des Geheimdienstes „finanziert und manipuliert“ zu haben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Partei des heutigen serbischen Innenministers, Dusan Mihajlović, vom Geheimdienst auf Anweisung von Stanisić auf die Beine gestellt wurde.
In Belgrad ist die Meinung verbreitet, dass sich Stanisić als schlechter Zeuge im Prozess gegen Milošević erweisen würde: Zwar könnte Stanisić viel Belastendes über seinen Exboss verraten. Doch ebenso viel weiß Milošević über die „schmutzige Arbeit“ seines Geheimdienstchefs – so über Listen von Regimegegnern, die liquidiert wurden oder hätten werden sollen.
Ein umso wichtigerer Zeuge wäre Stanisić aber für die Ermittlungen der serbischen Polizei nach dem tödlichen Attentat auf Serbiens Premier, Zoran Djindjić: gegen die Mafia, die alte Nomenklatura, verdächtige „Geschäftsleute“ und Kriegsprofiteure mit ihren Verbindungen zur Polizei, dem heutigen Geheimdienst und der Justiz.
Die „Eile“, mit der Stanisić dem UN-Tribunal ausgeliefert werden soll, „verwundert“, schrieb das Belgrader Magazin Vreme vor einer Woche. Er sei wohl der einzige Angeklagte, den Belgrad „von sich aus“ „angeboten“ habe, bevor die Anklage überhaupt erhoben worden sei.
Milošević hatte 1998 seinen Geheimdienstchef entlassen, weil sich dieser einer Konfrontation Serbiens mit der Nato widersetzte. Nachträgliche Analysen haben gezeigt, dass der rasche Untergang des Regimes mit diesem Zeitpunkt beginnt: Milošević, der absoluten Gehorsam von seinen Mitarbeitern forderte, hatte nach Stanisić niemanden in seiner Umgebung, der es noch wagte, dem Präsidenten unangenehme Wahrheiten zu sagen. Ohne Stanisić an der Spitze des Geheimdienstes und die „Todesschwadronen“ der Polizei gelang es Serbiens Opposition zum ersten Mal, sich zu vereinigen.
Ganz vertraut hat Milošević dem „zu mächtigen“ Stanisić nie. Dieser hatte persönliche Kontakte zur Spitze des russischen Geheimdienstes und der CIA. Außerdem hat Stanisić’ Sohn eine Flugausbildung in den USA gemacht, weshalb er als proamerikanisch galt. Der schwer kranke Stanisić hat wohl nie geglaubt, dass man es wagen würde, ihn zu verhaften oder gar dem UN-Tribunal auszuliefern. Nun wartet man in Serbien gespannt darauf, ob er vor dem Tribunal auspacken wird. ANDREJ IVANJI
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen