: Eine nicht so ganz private Trauerfeier
Der Abschied von Jürgen Möllemann: drei Stunden Defilee am Sarg und Lautsprecher, die die Gedenkreden auf den Platz vor der Kapelle übertragen
MÜNSTER taz ■ Um Jürgen Möllemann wird nicht nur getrauert. Viele, die vor der Kapelle des Münsteraner Zentralfriedhofs Schlange stehen, um sich von Möllemann zu verabschieden, sind auch und zuallererst wütend. Auf die FDP, „die hat ihn letztlich so weit getrieben“. Auf alle, „denen seine Offenheit zu unbequem war“. Und auf die Medien, die „auf den Zug aufgesprungen sind“.
In der Hitze auf dem Friedhof wirft der Tod des früheren FDP-Spitzenmannes Fragen nach Moral und Respekt auf, die oft gestellt und nie beantwortet werden. „Darf man so mit jemandem umgehen?“, sagt eine Rentnerin. „Ich meine: Nein. Selbst in der Politik.“ Es fehlt der Respekt, pflichtet eine Mutter mit Zwillingsbabys bei. Deshalb ist sie zum Kondolieren gekommen, „auch wenn ich die FDP nie wählen würde“.
Das alles sagen die Trauergäste nicht nur zueinander, sondern in zahllose Kameras und Mikrofone. Der Schlange der Bürger vor dem Eingang zur Kapelle steht eine ebenso lange Reihe Journalisten gegenüber – bemüht, sich nicht pietätlos auf die Trauernden zu stürzen, sich aber dennoch keinen spannenden O-Ton entgehen zu lassen.
„Wo wird der Sarg hinausgetragen?“, will ein Kameramann von Uwe Tönningsen wissen, der als Freund der Familie die Feier organisiert. Tönningsen bemüht sich, verteilt Programmzettel und spricht mit ruhiger Stimme. Erst als der Mann vom Fernsehen auf „die Quote“ verweist, ist es genug. „Ehrlich gesagt ist mir Ihre Quote völlig egal“, sagt Tönningsen und wendet sich ab.
Um die 2.000 Menschen stellen sich im Lauf des Vormittags vor der Friedhofskapelle an. Sicherheitsdienste und Polizisten sollen dafür sorgen, dass die Reporter sich nicht aufdringlich auf sie stürzen. Die Sorge ist grundlos. Die Journalisten halten sich zurück und versuchen erst gar nicht, in die Kapelle selbst zu gehen. Schwitzend sitzen sie am Straßenrand auf Stapeln von Steinplatten und diktieren ihre Texte ins Telefon. Aus den Platten sollen einmal Grabsteine werden.
Bei weitem nicht alle Besucher sind von den Journalisten genervt. „Möllemann war nun mal eine öffentliche Person“, sagt eine Münsteranerin, „dann müssen wir auch mit dem Medienrummel leben.“ Nur gelegentlich blühen am Rande der Interviews die Verschwörungstheorien. Ein FDP-Wähler aus Essen trägt ein Kreuz um den Hals und einen Wanderstab in der Hand. Möllemann sei „von den anderen Politikern gehetzt worden“, schimpft er und sieht „gewisse Parallelen zu Hannelore Kohl. Deren Mann wurde auch gejagt, bis sie nicht mehr konnte.“
Schweigend steht kaum jemand in der Schlange. Wer nicht mit den Medien reden will, spricht mit den anderen Trauernden. Die, die Möllemann persönlich kannten, trauern zusammen, erinnern sich in der Warteschlange an seinen Humor und daran, dass er „oft nur einen Mundwinkel hochzog, wenn er einen Witz machte“. Johann Brandl, FDP-Politiker aus Bayern, ist um halb drei nachts losgefahren, um morgens um acht in Münster zu sein. „Möllemann war ein Mann mit Charisma“, sagt er. Brandl hat Möllemann seit Jahren nicht mehr gesehen. „Aber jemand wie er prägt sich ein. Es war mir ein Bedürfnis, herzukommen.“
Nicht alle Besucher können in die Kapelle und am Sarg Möllemanns Abschied nehmen. Es sind zu viele, die vorgesehenen drei Stunden reichen nicht. Ob er politisch umstritten war, sei ihr egal, sagt eine Bäckerin, die extra ein paar Überstunden abbummelt, um von Möllemann Abschied zu nehmen: „Er war mir so sympathisch.“ Eine Rentnerin, die sich umsonst angestellt hat, schreibt ins Kondolenzbuch: „Lieber Mölli, wir vermissen Dich so sehr.“ Wie mehrere hundert andere bleibt sie auch, als die Türen der Kapelle für die Trauerfeier geschlossen werden.
Lautsprecher übertragen die Reden nach draußen, und als der Kieler FDP-Chef Wolfgang Kubicki drinnen in seiner Rede innehalten muss, weil er weint, weinen viele draußen mit. Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Genscher ist einer der wenigen FDP-Spitzenpolitiker, die zur Trauerfeier eingeladen waren. Eine richtige Entscheidung, finden die Kondolierenden: „Der Westerwelle muss sich hier gar nicht erst sehen lassen.“ Den Sarg zum Grab tragen sechs Mitglieder von Jürgen Möllemanns Fallschirmspringerclub.
JUDITH WEBER
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