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Doppeldeutig an die europäischen Urnen

Die Parteien starten in die Europawahl. „Unser Zugfährt“ nennen die Grünen ihren Kandidaten Michael Cramer

Selten waren Europa und die Europäische Union aktueller und präsenter in der Öffentlichkeit. Parteien und dem Vernehmen nach auch die Landeswahlleitung befürchten aber, dass die Wahlbeteiligung bei der Europawahl am 13. Juni wieder niedrig ausfällt, möglichweise noch unter der von 1999 liegen könnte. Der Berliner Grünen-Kandidat Michael Cramer macht dafür nicht angeblich desinteressierte jüngere Wahlberechtigte verantwortlich, sondern Ältere. Bei denen hätten viele noch von früher her im Kopf, das EU-Parlament habe sowieso nichts zu sagen.

1999 gingen nur knapp 40 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne. Zum Vergleich: Bei der Abgeordnetenhauswahl 2001 waren es 68,1 Prozent, bei der Bundestagswahl ein Jahr später 77,6 Prozent. Desinteresse wäre fatal: Über die Hälfte aller deutsche Gesetze und Verordnungen haben inzwischen ihren Ursprung auf europäischer Ebene.

CDU und Grüne sind von den Berliner Parteien als Erste mit ihren Plakaten auf die Straße gegangen. Beide setzen auf doppeldeutige Wortspiele. „Europa macht man nicht mit links“, plakatiert die CDU. „Für ein besseres Klima in Europa“ werben die Grünen. Beide Parteien übernehmen die Motive ihrer Bundesverbände und bewerben speziell nur ihre hiesigen Kandidaten.

„Hiesige Kandidaten“ ist insofern irreführend, als es nahe legt, dass etwa der Grüne Cramer gegen CDU-Mann Ingo Schmitt um einen Wahlkreis kämpft. Wer ins Europäische Parlament kommt, hängt jedoch nur vom bundesweiten Ergebnis der Parteien ab. Allein die CDU tritt wegen ihrer Schwesterpartei CSU mit Landeslisten an.

Noch nicht auf der Straße sind SPD, PDS und FDP, die nach dem 1. Mai folgen wollen. Sozialdemokraten und Liberale hatten offensichtlich nicht genau in die „Ausführungsführungsvorschriften zu § 10 und 11 des Berliner Straßengesetzes“ geschaut. Die erlauben Plakatierung ab 7 Wochen vor der Wahl – SPD und FDP gingen von 6 Wochen aus.

Die PDS verzichtet anders als die anderen Parteien bewusst auf Kandidatenplakate. „Europa ist keine Personenwahl“, sagt ihr Sprecher Axel Hildebrandt. Die FDP plakatiert zwar ihre bundesweite Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin, nicht aber ihren lokalen Europakandidaten Stefan Beißwenger. Der gilt als zu unbekannt, um Stimmen zu ziehen, und hat auf der bundesweiten FDP-Liste mit Platz 12 keine Chance auf ein Mandat.

Der Grüne Cramer steht auf seiner Parteiliste zwar auch nur auf Platz 10. Da die Grünen aber von einem Dutzend Mandate ausgehen, wird sich Cramer Mitte Juni voraussichtlich nach 15 Jahren aus dem Abgeordnetenhaus verabschieden. Die dortige Grünen-Fraktion verliert damit einen der versiertesten Verkehrsexperten des Parlaments. Seinen Wahlkampf betreibt Cramer von dem gestern eröffneten „Cramer-Laden“ in der Grünen-Landeszentrale in der Lindenstraße 20–25 aus. Auch bei seinem Plakat setzen die Grünen auf ein Wortspiel: „Unser Zugfährt“. STEFAN ALBERTI

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