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auf der jagd nach muktada al-sadr von BJÖRN BLASCHKE

An Muktada al-Sadr heranzukommen ist nicht leicht. Was die US-Amerikaner und die irakischen Justizvertreter dieser Tage mit dem schiitischen Geistlichen erleben, ist für Journalisten überhaupt nichts Neues – und die wollen ja lediglich mit ihm sprechen.

Einmal beispielsweise versuchte ich, al-Sadr in Nadschaf zu treffen, dort, wo sich der Schiitenführer derzeit aufhalten soll. Doch an al-Sadrs Statt musste ich mit einem seiner Sprecher vorlieb nehmen. Der Mann, den ein weißer Turban, ein langer Umhang und ein mächtiger schwarzer Bart schmückten, wirkte zunächst wohl präpariert. Das, was er sagte, schien auswendig gelernt: Er sprach von der Einheit der Schiiten; davon, dass ihre religiösen Führer die Politik des Landes mitbestimmen sollten. Mit dem Mord an dem gemäßigten Großajatollah al-Choei habe man nichts zu tun; die Schia sei einig und eins.

Als es um das System ging, das Muktada al-Sadr und seinen Leuten für den Irak vorschwebt, brach das erlernte Rhetorikgerüst zusammen: Zunächst bestand der Sprecher darauf, dass man eine islamische Republik nach iranischem Vorbild schaffen wolle. Dann schwenkte er um: Ein Proporzsystem nach libanesischem Vorbild sei doch besser. Der Sinneswandel folgte einer veritablen Einflüsterung: Ein Berater, der in einem altrosafarbenen Anzug gewandet war und eine dicke Brille trug, sprach dem Al-Sadr-Sprachrohr ins Ohr, was der verkünden sollte …

Einige Wochen später versuchte ich Muktada al-Sadr über dessen Büro in Bagdad zu einem Interview zu bewegen. Auch das scheiterte; ich geriet an einen zweiten Sprecher des Predigers. Der referierte über die Bewegung ganz selbstständig, allerdings mit triefender Nase, die er ständig hochzog. Ich war höchst irritiert, doch wurde mir zweierlei deutlich: Erstens, dass auch dieser Sprecher von der Gründung einer islamischen Republik Irak sprach. Zweitens wurde der Mann nicht müde zu betonen, dass allein in Bagdad bereits über 100.000 Menschen al-Sadrs Miliz beigetreten seien. Die Kämpfer nennen sich Soldaten der Mehdi-Armee, so benannt nach dem zwölften Imam, der aus schiitischer Sicht der einzig wahre Vertreter der Muslime auf Erden ist. Weil er allerdings schon als Kleinkind verschwand, ungefähr um das Jahr 875, gilt er als der verborgene Imam oder als der Entrückte.

Apropos verschwunden: Der bisher letzte Versuch, Muktada al-Sadr zu einem Gespräch zu bewegen, scheiterte bereits in seinen Anfängen: Ich hatte mich zusammen mit einer Korrespondentenkollegin nach größerem Hin und Her mit einem dritten Sprecher al-Sadrs in Bagdad verabredet – vor dem White-Palace-Restaurant. Das nun wollte der Al-Sadr-Mann, der wie seine Kollegen ein Wallegewand trug, plötzlich nicht betreten, ohne sich vorher im Auto umzuziehen. Nein, nein, beteuerten die zwei Korrespondenten, das wäre doch nicht nötig, man könne doch auch in einem kleinen Raum des Hotels das Gespräch führen. Ja, ja, sagte der Mann und versprach, in seinem Auto dem Wagen der beiden Journalisten zu folgen. An der nächsten Straßenecke war er dann verschwunden, ging nicht einmal mehr ans Telefon. Er blieb bis heute – sozusagen – entrückt.

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