: „Die Hauptschule beschämt die Kinder“
Hier spricht Hessen (Teil 10/Schluss): Die Union will die Hauptschule halten. Hauptschullehrer Peter Kühn ist dagegen
PETER KÜHN, 60, Rektor der Haupt- und Realschule in Heppenheim. Er lehrt Deutsch in beiden Zweigen.
taz: Herr Kühn, die CDU hat eine Bestandsgarantie für den Hauptschulabschluss abgegeben. Freut es Sie als Haupt- und Realschullehrer, dass Ihr Arbeitsplatz im Falle eines Wahlsieges sicher ist?
Peter Kühn: Durchaus nicht. Wir von der Schulleitung würden uns gerne in eine Integrierte Gesamtschule umwandeln, in der Schüler erst ab Klasse 9 oder 10 getrennt werden. Aber daran hat das derzeitige Kultusministerium überhaupt kein Interesse.
An Ihrer Schule sind beide Zweige unter einem Dach. Ist die reine Hauptschule nicht ohnehin schon passé?
Das ist richtig, reine Hauptschulen gibt es in Hessen nur noch sehr wenige. Aber die Zusammenführung von Haupt- und Realschule wie bei uns ist rein organisatorisch. Wir haben getrennte Klassen.
Welche Kinder unterrichten Sie im Hauptschulzweig?
Die Hälfte kommt aus Familien mit Migrationshintergrund, und generell sind es Kinder von Eltern, die entweder kein Geld für Nachhilfe haben oder sich wenig Gedanken um die Bildung ihrer Kinder machen. Das ist nur noch ein Rest, denn generell wird die Hauptschule nicht mehr akzeptiert. Wir wissen nicht, ob wir dieses Jahr noch eine 5. Klasse zusammenbekommen. Zehn Kilometer von Heppenheim entfernt ist eine Integrierte Gesamtschule. Dorthin fahren täglich über 150 Kinder, viele von ihnen wären sonst auf der Hauptschule gelandet.
Die Lernbedingungen sind dafür in Ihrer Schule ideal – nur 12 Schüler in einer Klasse!
Aber mit dieser Aussortiererei beschämen wir die Kinder. Wer auf der Hauptschule gelandet ist, empfindet sich als abgeschoben.
Der derzeitige CDU-Kultusminister Jürgen Banzer will Haupt- und Realschüler zunächst in „Qualifizierungsschulen“ gemeinsam unterrichten. Wäre das gut?
Natürlich ist ein gemeinsame Orientierungsstufe besser als eine frühe Trennung. Aber es bringt nichts, Hauptschüler in Realschulklassen zu stopfen. Sie brauchen wegen der unterschiedlichen Lehrpläne besondere Stunden und extra Kurse.
Die Verteidiger des gegliederten Schulsystems sagen, es gebe nun mal unterschiedliche Begabungen.
Deshalb muss man im Unterricht differenziert arbeiten. Anstelle des Frontalunterrichts sollten die Schüler in Projekten lernen und ihr eigenes Wissensportfolio aufbauen. Eine leistungsmäßig homogene Klasse ist doch sowieso eine Fiktion, die in keiner Schulform verwirklicht werden kann.
Wäre es da nicht sinnvoll, wenn SPD und CDU eher über eine Verbesserung des Unterrichts nachdächten, als über Schulstrukturen zu streiten?
Ich weiß gar nicht, warum man sich um die Strukturfrage so herumdrückt. Ein Blick ins Ausland zeigt, dass es in den meisten Ländern üblich ist, dass Schüler lange gemeinsam lernen. Statt Schüler weiter in Schubladen zu stecken, kann die Alternative nur sein, alle länger zusammen zu unterrichten. Denn Schüler lernen nicht nur von Lehrern, sondern auch von Mitschülern. Aber diese Möglichkeit haben sie in Hauptschulklassen nicht mehr.
INTERVIEW: ANNA LEHMANN
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