: Wenn Lügner Lügner Lügner nennen
Die BBC hat behauptet, die britische Regierung habe einen Geheimdienstbericht über die Bewaffnung des Irak „sexy“ gemacht, um Skeptiker vom Krieg zu überzeugen. Tony Blair schäumt, die BBC schäumt zurück – jetzt geht die Sache wohl vor Gericht
von RALF SOTSCHECK
Plötzlich sind sie wieder da. Die britischen Tories liegen laut neuester Umfragen mindestens gleichauf mit der regierenden Labour Party. Bis auf einen kurzen Moment während des Streits um die Benzinsteuer im September 2000 ist es das erste Mal seit elf Jahren, dass Labour hinter den Tories liegt.
Die wundersame Auferstehung einer Partei, deren Chef Iain Duncan Smith selbst von seinen eigenen Leuten nicht für voll genommen wird, wäre ohne fremde Hilfe nicht möglich gewesen. Diese Hilfe kam in Form eines beispiellosen Zerwürfnisses zwischen der Regierung und dem öffentlichen Fernsehen. Die BBC hatte in einem Fernsehbericht behauptet, dass die Regierung angeordnet habe, im September 2002 einen Geheimdienstbericht über die Bewaffnung des Irak „sexy“ zu machen und die Gefahr zu übertreiben, um Skeptiker von der Notwendigkeit eines Krieges zu überzeugen. Es ging dabei vor allem um die Einschätzung, dass der Irak „einige seiner Massenvernichtungswaffen binnen 45 Minuten“ einsetzen könnte. Die Geheimdienste wollten diese Beurteilung laut BBC nicht in ihren Bericht aufnehmen, da sie nur auf einer einzigen Quelle beruhte – und nicht auf mindestens zwei unabhängigen Quellen, wie es unabdingbar ist. „Die Information über die Einsatzfähigkeit der Waffen stand nicht in unserem Originalbericht“, zitierte die BBC ihren nicht genannten Geheimdienst-Informanten. „Sie wurde gegen unseren Willen hinzugefügt. Wir hielten die Quelle nicht für zuverlässig.“
Tony Blair reagierte auf den BBC-Bericht erbost. Sein Kommunikationschef Alastair Campbell warf der BBC vor, gelogen zu haben. Die Einschätzung über die Einsatzbereitschaft der Waffen innerhalb von 45 Minuten habe bereits im ersten Entwurf der Geheimdienste gestanden. Vor dem Untersuchungsausschuss des Unterhauses zürnte Campbell: „Wie kann man nur so zynisch sein zu glauben, dass ein Premierminister vorzeitig entscheidet, britische Truppen in den Krieg zu schicken und das nicht lieber vermeiden würde?“
Campbell verlangte von der BBC und ihrem Redakteur Andrew Gilligan, der für den Bericht verantwortlich ist, sich bei der Regierung zu entschuldigen. Schließlich habe sich auch Gilligan bei seinem Bericht lediglich auf eine einzige Quelle bezogen. Der stellvertretende Labour-Fraktionschef Phil Woolas warf Gilligan in einem öffentlichen Brief sogar vor, den Untersuchungsausschuss mit seiner Aussage in die Irre geführt zu haben. Gilligan drohte am Wochenende, Woolas zu verklagen, falls der sich nicht entschuldige. Greg Dyke, der Generaldirektor der BBC, sicherte Gilligan seine volle Unterstützung zu. Dyke wirft der Regierung vor, einen einzigen Fernsehreport zu benutzen, um die gesamte BBC-Berichterstattung zu diffamieren.
Es wäre das erste Mal, dass ein Mitarbeiter des staatlichen Fernsehens ein Kabinettsmitglied verklagt. Vorgestern machte Dyke daher ein Friedensangebot: Sie wolle einräumen, dass ihr Bericht möglicherweise nicht ganz korrekt war. Im Gegenzug soll die Regierung jedoch bestätigen, dass der Staatsfunk in Anbetracht der Debatte um die Verwendung von Geheimdienstmaterialien durchaus berechtigt war, die Geschichte zu senden.
Es ist unwahrscheinlich, dass Blair auf das Angebot eingehen wird – es würde wie ein Rückzug aussehen, so seine Berater. Deshalb lässt die Regierung es wohl auf einen Prozess ankommen.
Der Untersuchungsausschuss wird am Montag seinen Bericht vorlegen. Dem Observer liegen Hinweise vor, dass der Ausschuss Blairs Version akzeptieren werde. Ob das ausreicht, um die Glaubwürdigkeit des Premierministers wiederherzustellen, ist zweifelhaft. Eine unabhängige öffentliche Untersuchung hat er bisher abgelehnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen