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In der Kriegslogik gefangen

In Südostkolumbien läuft seit Monaten eine Offensivegegen die FarcUribe trifft mit dem Kurs der harten Hand immer nochauf viel Verständnis

VON GERHARD DILGER

„Dafür, dass die Anschläge ein Plan der Farc sein sollen, haben wir keine Anhaltspunkte“, sagte Kolumbiens Verteidigungsminister Jorge Alberto Uribe vorgestern in Bogotá. Aus den drei Bomben, die am Wochenende in der Provinz Antioquia 14 Tote und fast 100 Verletzte forderten, hatten Nachrichtenagenturen mit Berufung auf die Armee eine Offensive der „Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens“ (Farc) konstruiert, die so ihren 40. Geburtstag „feiern“ wollten.

Als die Armee am letzten Freitag einen Guerillaangriff zurückschlug, sollen die Rebellen „etwa 25 Tote und viele Verletzte“ mitgenommen haben, meldete der Radiosender RCN und bezog sich auf „Berichte aus der Bevölkerung und aus Geheimdienstkreisen“. Belegbar sind solche „Erfolge“ oft ebenso wenig wie das, was die Farc melden: Demnach seien von Januar bis März 2004 1.373 Soldaten, Polizisten und Paramilitärs getötet worden, sie selbst hingegen hätten nur 43 Tote zu beklagen.

Die Farc sehen sich im „Kampf um Frieden, Souveränität und soziale Gerechtigkeit“. Für Kolumbiens Präsidenten Álvaro Uribe ist der Sieg der Armee die „Garantie für Demokratie und Gerechtigkeit“, wie er vor Soldaten sagte. „Unterstützt von der großen Mehrheit unserer Landsleute, haben wir entschieden, die Terroristen in allen Winkeln Kolumbiens zu schlagen.“

In Südostkolumbien, dem Rückzugsgebiet der Farc, läuft seit Monaten die Offensive „Patriotischer Plan“ – die angekündigten sozialen Begleitmaßnahmen für die Bevölkerung lassen jedoch auf sich warten. Vor europäischen Unternehmern sagte Präsident Uribe vorgestern, die Guerilla habe ihre „ideologischen Ziele durch Geldgier“ und ihre „Überzeugungen durch das Drogengeschäft“ ersetzt. Das klingt schlüssig, doch es stimmt nicht ganz.

Zentralkolumbien, Mai 1964: Unterstützt von US-Beratern starteten 16.000 Soldaten eine Offensive gegen die „unabhängige Republik“ Marquetalia, ein Tal in den Anden, wohin sich Reste der Guerilla aus den Fünfzigerjahren zurückgezogen und das Land bestellt hatten. Während des Bürgerkriegs zwischen den Liberalen und Konservativen hatte der Bauernsohn Manuel Marulanda Vélez ab 1949 Selbstverteidigungsgruppen organisiert. Zusammen mit gut 40 Gesinnungsgenossen entkam Marulanda, der den Kriegsnamen „Tirofijo“ (sicherer Schuss) angenommen hatte, am 27. Mai 1964 der Armee und bildete die ersten Guerillaeinheiten, die sich 1966 in „Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens“ umbenannten: Die Farc waren geboren.

Jahre überlebten die damals moskautreuen Farc, indem sie den Widerstand der Kleinbauern gegen Großgrundbesitzer organisieren halfen. Unter dem Einfluss der kubanischen Revolution gründeten Studenten das „Heer zur nationalen Befreiung“ (ELN), die Maoisten nannten sich „Volksbefreiungsarmee“ (EPL). In den Siebzigerjahren folgten die nationalistische Stadtguerilla M-19 und die Indianerguerilla „Quintín Lame“. Nach diversen Verhandlungen bis in die Neunzigerjahre lösten sich die Gruppen wieder auf – bis auf die Farc und die ELN. Ein siebenjähriger Waffenstillstand endete 1990, als der damalige Präsident Gaviria das Farc-Hauptquartier bombardieren ließ. Zugleich wurde der Versuch verhindert, mit der Linkspartei „Patriotische Union“ (UP) eine Alternative aufzubauen: Armee und Todesschwadronen ermordeten über 3.000 UP-Aktivisten.

Daraufhin baute „Tirofijo“ ein schlagkräftiges „Volksheer“ auf, das seinen Radius immer weiter ausdehnte. Die erforderlichen Mittel holten sie durch Entführungen, die Erpressung von Schutzgeldern und Drogenhandel – allein die Einnahmen aus diesem Geschäft sollen sich auf 300 Millionen Dollar im Jahr belaufen. Die Farc haben heute rund 17.000 KämpferInnen unter Waffen, sympathisierende Kader und Milizionäre nicht mitgerechnet.

1998 verhalf „Tirofijo“ dem konservativen Kandidaten Andrés Pastrana zum Sieg, als er ihn überraschend zum Fototermin empfing – die KolumbianerInnen setzten ihre Hoffnungen auf einen erneuten Friedensprozess. Pastrana deklarierte ein Urwaldgebiet von der Größe der Schweiz zum „Entspannungsgebiet“, doch die Verhandlungen mitten im Krieg scheiterten. Für den misstrauischen „Tirofijo“ kam weder Waffenstillstand noch Entwaffnung in Frage, und auch Pastrana hatte wenig Konkretes zu bieten. Die Armee blockierte einen Gefangenenaustausch und weigerte sich, die Paramilitärs zu bekämpfen. Auch die Farc-Forderung nach einer „Regierung des Wiederaufbaus und der nationalen Versöhnung“ hatte keine Chance.

Während der Gespräche rüsteten beide Seiten auf, die USA unterstützen Pastrana mit dem Milliardenpaket „Plan Columbia“. Nach der Entführung eines Senators erklärte Pastrana den Friedensprozess für gescheitert. Beobachter León Valencia macht sowohl die Führungsschwäche Pastranas als auch die militärische Logik der Farc verantwortlich: „Weder waren die Farc bereit, die Waffen niederzulegen, noch der Staat, die Forderungen der Farc ernst zu nehmen.“

Ideale Voraussetzungen für Álvaro Uribe, der wenig später dank seines Kriegsprogramms zu Pastranas Nachfolger gewählt wurde. Der frühere Außenminister Rodrigo Pardo wirft dem 74-jährigen „Tirofijo“ denn auch vor, durch „politische Kurzsichtigkeit“ seinem ärgsten Feind Uribe den Boden bereitet zu haben: „Nach fast 40 Jahren Krieg hätte Marulanda als Friedensstifter in die Geschichte eingehen können.“

Uribe hat für seinen Kurs der harten Hand immer noch viel Verständnis bei der Bevölkerung – seine Forderung, die Guerilla müsse vor Verhandlungen in einen Waffenstillstand einwilligen, ist plausibel. Die Farc spielen auf Zeit: Ihre Forderung nach einer neuen Entspannungszone ist nicht durchsetzbar, eine Vermittlung durch die UNO lehnen sie ab. Ihr größtes Anliegen ist der Austausch von gut 70 Polizisten, Soldaten und Politikern, darunter der Ex-Senatorin Ingrid Betancourt, gegen 400 Inhaftierte. Außerdem halten sie über 900 weitere Entführte gefangen.

Der Militärexperte Alfredo Rangel glaubt, die Farc hätten einen „geordneten Rückzug“ angetreten, ihr militärischer Apparat sei jedoch intakt. Sie setzten auf einen Verschleiß der Regierung und einen Rückgang der US-Militärhilfe, bevor sie wieder in die Offensive gehen würden.

Bei den europäischen Regierungen, die am ehesten auf Verhandlungen drängten, wird Uribes Politik mittlerweile weitgehend als alternativlos gesehen – nach den Farc setzte die EU jetzt auch die schwächere ELN auf ihre Liste terroristischer Organisationen. Der Soziologe Eduardo Pizarro sieht sogar die Möglichkeit, der Staat könne den Konflikt zu seinen Gunsten entscheiden – durch eine Kombination von militärischer Stärke und dadurch erzwungene Verhandlungen. Er hält aber nichts davon, die Farc als Narco-Guerilla zu denunzieren. „Sie sind kein Drogenkartell, denn sie haben weiterhin politische Beweggründe. Die Drogen sind nicht ihre Motivation, sondern der Treibstoff für ihre militärische Expansion.“

Auch die Bezeichnung „Terroristen“ greift für Pizarro zu kurz: „Die Guerilla hat tiefe Wurzeln in der kolumbianischen Gesellschaft, sie ist der Ausdruck von sozialer Ungleichheit und Armut auf dem Lande, anders als bei al-Qaida oder der spanischen ETA ist der Terror nicht ihre bevorzugte Aktionsform.“ Sogar Álvaro Uribe handele ambivalent: „Auf internationaler Ebene drängt er darauf, dass die bewaffneten Gruppen als Terroristen bezeichnet werden, aber in Kolumbien wehrt er sich gegen eine klare Anti-Terror-Gesetzgebung, denn er will sich eine Hintertür für Verhandlungen offen halten.“

Dass es dazu kommen wird, ist allen klar. Damit das Blutvergießen abgekürzt wird, müsste es zu einer politischen Initiative kommen. Doch von Uribe ist nicht zu erwarten, dass er überraschend Initiative zur Beendigung des Blutvergießens ergreift – und von den Farc erst recht nicht.

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