: Flügel sinken ins Loch
Es war eine feierliche Eröffnung des größten Konzertsaals im Ruhrgebiet. Die neue Philharmonie in Essen fasst unglaubliche 1.900 Zuschauer
AUS ESSEN PETER ORTMANN
Standing Ovations für Stefan Soltesz und seine Essener Philharmoniker. Sie lieferten eine glanzvolle Premiere des neuen Konzerthauses der Stadt, dem nun größten der Region. „Eine Alpensinfonie“ von Richard Strauss schloss das erste Premieren-Programm und das führte zu endlosen Schlangen an der Sushi-Bar.
„Tönet ihr Pauken! Erschallet Trompeten“. Johann Sebastian Bachs Eingangskantate drückte schon aus, wie sich Essen in Zukunft präsentieren will: Man will die einzige Hauptstadt im Revier werden, hat jetzt das größte Konzerthaus der Region und huldigt dafür seinem finanziellen Haupt-Förderer, der immer noch mit dem Namen Krupp verbunden ist. Berthold Beitz, Vorsitzender des Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung war unter den Gästen des neuen Prachtbaus, der vor hundert Jahren als Saalbau konzipiert wurde. Die Stiftung half mit 13 Millionen Euro. Dafür gibt es in Essen nun nicht nur ein Alfried Krupp Krankenhaus, sondern auch den Alfried Krupp-Konzertsaal. Von einem Wolfgang Clement-Raum ist nichts bekannt, der Ex-Ministerpräsident wurde aber als Förderer von Essens Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger erwähnt. Unter Clement hatte die Landesregierung beschlossen, immerhin 8 Millionen Euro für den Umbau frei zu schaufeln, das sind mehr als 10 Prozent der Bausumme.
Die Kölner Architekten Busmann und Haberer hatten den abbruchreifen Saal vollständig entkernt und einen neuen lichten Birkenholz-Thingplatz für Musik mit warmen Farben geschaffen, in dem unglaubliche 1.900 Zuschauer, auch auf Emporen rund um die Bühne, Platz finden. Eyecatcher sind ein riesiges eckiges Schallsegel über dem Orchesterrund und die dunkelroten Stahlstreben für die Tribünen, die farblich mit der dunkelblauen Decke harmonieren. Ahs und Ohs gab es auch, als der Steinway-Flügel, den der finnische Klaviervirtuose Olli Mustonen gerade freigemacht hatte, im kreisrunden Aufzugsloch verschwand. „Fallen sie bloß nicht hinein“, Philharmonie-Intendant Michael Kaufmann sorgte sich um die neugierige erste Reihe, die sehen wollte, in welchen Schlünden des Hades das edle Instrument verschwand. Schließlich war 3Sat live dabei.
So ein Prachtstück hätte auch NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück in seiner Jugend gern besessen. Doch in seiner Festrede musste er zugeben, kein Instrument spielen zu können. Die Eltern hatten sich bei seinem 16. Geburtstag für eine Reiseschreibmaschine entschieden. Deshalb muss er jetzt Politik machen und darf nicht im Orchester mitspielen. „Diese Philharmonie ist ein Pfund für die Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas“, sagte Steinbrück und wies artig auf die Stellvertreterfunktion Essens fürs Ruhrgebiet hin. Für die Umwandlung dieser Industrieregion in ein Kulturgebiet, das richtungsweisend für Europa sei, sicherte er die volle Unterstützung des Landes zu. Die von vielen erwartete Relativierung seines „Abendland-Ausrutschers“ in Wuppertal fand aber nicht statt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen