piwik no script img

„Ich hasse Wasser“

Simon K.

„Es gibt Eltern, die schicken ihre Kleinen ohne Schwimmflügel die Rutsche hoch und wundern sich dann, wenn die Kids nicht mehr auftauchen“

Wer sich durch den Kreuzberger Sommer schwimmen will, kommt an ihm nicht vorbei: Simon K. (35) ist seit 17 Jahren Bademeister, genauer gesagt Rettungsschwimmer, im Prinzenbad. Und obwohl Gäste manchmal größte Ekelpakete sind, pöbeln, zicken und handgreiflich werden, macht er seinen Traumjob. Das Kreuzberger „Ghettokid“, wie er sich selber nennt, kann sich nichts Schöneres vorstellen, als an der Badefront von Berlins beliebtestem Sommerbad zu stehen. Andere Bäder wären dem gelernten Gärtner zu langweilig. Im Prinzen ist er alles: Schnellrichter, Wachschutz, Rettungssanitäter, Müllmann, Sozialarbeiter und Putzfrau. Sein Motto: Pöbeln und pöbeln lassen und selbst nicht vermöbelt werden.

Interview SUSANNE LANG und PLUTONIA PLARRE

taz: Simon, Sie sind braun gebrannt und haben ein Goldkettchen – eigentlich stört nur Ihr Bauch. Oder gehört der neuerdings auch zum Klischee ?

Simon K.: Der Bauch muss sein. Sonst würde ich untergehen. Die Kollegen setzen mich nämlich als Rettungsboje ein.

Wie oft werden Sie denn so zu Wasser gelassen?

Wenn es heiß und voll ist, nicht so oft. Eher, wenn das Wetter durchwachsen ist.

Wenn es voll ist, passiert nicht so viel?

Dann sind genug Badegäste da, die untereinander besser aufpassen. Als Rettungschwimmer hat man da nicht mehr viel zu tun.

Wir dachten, Sie sind Bademeister.

Ich bin Rettungschwimmer. Bademeister arbeiten in Kneipbädern. Hier bei uns im Prinzenbad heißt das Schwimmmeister, seit neuestem auch Fachangestellter für Bäderbetriebe. Außerdem gibt es Rettungschwimmer, Badewärter, Kassierer und Maschinisten.

Wer hat denn die Badelatschen an?

Alle. Wir arbeiten Hand in Hand.

Und wer ist das größte Ekelpaket?

Zeitweise die Badegäste.

Warum machen Sie den Job dann?

Das frage ich mich auch seit 17 Jahren. Man muss eine gewisse sadistische Ader haben. Nee, ernsthaft: Das ist mein Traumjob. Man wird von den Badegästen zwar ständig angepöbelt und muss aufpassen, dass man nicht vermöbelt wird, aber es wird nie langweilig.

Sie gucken also nicht nur stumpf aufs Wasser?

Von wegen. Man ist hier alles. Schnellrichter, Wachschutz, Rettungssanitäter, Müllmann, Sozialarbeiter, Gärtner, Putzfrau.

Sozialarbeiter – das müssen Sie uns erklären.

Wer nicht mit Menschen umgehen kann, hat in dem Job nichts zu suchen. Besonders hier in Kreuzberg; ist ja alles multikulti.

Sie sind Kreuzberger?

Ich sag immer: Als Baby hab ick ins Prinzen ringeschissen, jetzt hol ick die Scheiße raus. Ich bin hier aufgewachsen. Heinrichplatz. Mariannenplatz. Ich bin selbst so ein Ghettokid. Mein Elternhaus würde man heute wohl als asozial bezeichnen. Vater Alkoholiker, Mutter Sozialhilfeempfängerin. Bin mit zehn Jahren abends draußen rumgelaufen, hat niemanden interessiert.

Was unterscheidet das Prinzen von anderen Bädern?

Ich kenne kaum andere. Ich war mal zu Besuch im Allendebad. Dort wäre es mir einfach zu langweilig. Wenn man den Leuten dort was sagt, wird geantwortet: Alles klar.

Das ist Ihnen zu brav?

Da würd ich ne Macke kriegen. Ich bin nun mal Diskussionen gewohnt: Wieso, weshalb, warum. Zum Beispiel mit den jungen Studierenden, die unwahrscheinlich schlau sind, aber nicht mal das Wort „Gesperrt“ lesen können.

Müssen Sie manchmal handgreiflich werden?

Umgekehrt. Gäste werden oft handgreiflich: an den Haaren zuppeln, an die Schulter greifen. Wenn man das nicht so ernst nimmt und ein Späßchen reinknallt, entschärft sich das Ganze meistens. Ruhig mit den Leuten reden ist alles. Auch wenn man 20.000 Mal am Tag das Gleiche sagt.

Wer sind denn Ihre Spezis?

Manche fangen schon an der Kasse Streit an. Die wollen mit vier Euro bezahlen, allet in Pfennige, und hinter ihnen is ne Schlange. Anderen sieht man schon an der Fresse an, dass sie nur einen Grund suchen, um ihren Frust abzulassen.

Können Sie Türkisch?

Ich verstehe es ein bisschen. Mit den Kids muss man aber gar nicht mehr Türkisch reden, die haben ihre eigene Sprache: Weißt du, Bademeister, warum immer ich, häh, weißt du, wenn du kommst, dann mach ich Messer.

Gehen Sie mit denen anders um als mit Deutschen?

Absolut nicht. Bloß gerade bei uns im Prinzenbad bauen hauptsächlich unsere lieben ausländischen Mitbewohner die meiste Scheiße. Diebstähle, Prügeleien. Das liegt natürlich auch daran, dass sie den größten Teil unseres Publikum ausmachen. Die Deutschen bauen auch Scheiße, das fällt nur nicht so ins Gewicht.

Wird Ihnen manchmal vorgeworfen, ein Rassist zu sein?

Wenn man jemanden zurechtweist, kommt als Erstes der Spruch: Nazi, du hast was gegen Ausländer. Mir ist aber egal, ob er Ausländer ist oder nicht, ich habe was gegen die Person, weil sie andere Leute gefährdet.

Wie ist es mit älteren Damen?

Wir haben zwei mit diesen Kaffeewärmern auf dem Kopf. Sie schwimmen immer im Viereck knapp an den Startblöcken entlang und brubbeln vor sich hin. Wir haben schon tausendmal gesagt: Mädels schwimmt weiter hinten, da können euch die Kids nicht auf die Birne springen. Dann heißt es immer: Wir schwimmen hier schon seit 20 Jahren, also schwimmen wir weiter. Aber immer in dieselbe Richtung. Ich glaube, wenn die mal andersrum schwimmen würden, würden sie absaufen. Und dann immer auf dem Rücken. Wer im Weg ist, wird eiskalt niedergestreckt.

Welche Gäste sind Ihnen die liebsten?

Die einfach ihre Bahnen schwimmen und wieder gehen. Oder Stammgäste, die richtig locker sind. Oder diese kleinen Peoples, die sich vor dir aufbauen, um eine neue Beleidigung anzubringen, die sie in der Kita gelernt haben. Zum Beispiel der Spruch – ich hab mich fast weggelegt: „Weißt du, seitdem ich dein Gesicht gesehen habe, weiß ich endlich, wie schön mein Arsch ist.“

Was waren die härtesten Szenen, die Sie im Bad erlebt haben?

Eine Massenschlägerei, gleich in meiner ersten Saison hier. Früher, Ende der 80er-Jahre kamen die ständig vor. Ich dachte damals, das schaffe ich alleine, habe die Leute auch ganz gut auseinander gekriegt, bis mich ein Kollege angesprochen hat, dass ich hinten ein Messer drinstecken hätte. Das war mein Einstand hier. Schlimm ist es auch Kindesmisshandlung, wenn Kids in der Dusche belästigt werden oder sich jemand neben dem Sandkasten, wo Kinder spielen, einen runterholt.

Das kommt immer noch vor?

Heute nicht mehr. Wir sind eines der ruhigsten Bäder geworden in Berlin. Damals wurde richtig durchgegriffen. Zeitweise haben wir mit 25 Zivilpolizisten Dienst gemacht. Es gab massenhaft Anzeigen und Hausverbote.

Ist schon einmal jemand ertrunken?

Wir hatten drei Todesfälle in meinen 17 Jahren. Zwei kleine Jungen und ein Erwachsener.

Macht man sich da Vorwürfe?

Das lag nicht an uns. Der Erwachsene hatte zum Beispiel zu viel gegessen, zu lange in der Sonne gelegen, dann ist er ins Wasser und hat einen Herzschlag bekommen.

Hatten Sie nie das Gefühl, versagt zu haben?

Nein. Ich hatte auch nur bei einem der Jungen Dienst. Und der ist lebend dem Notarzt übergeben worden. Das hört sich krass an, ist für uns aber ganz wichtig: Der Junge ist erst draußen gestorben.

Wie wird man mit so einem Erlebnis fertig?

Man kann das nicht an sich rankommen lassen. Man muss sich mal die Besucherzahlen vor Auge führen. Vor der Wende hatten wir Rekordzahlen von 15.000 bis 22.000 Besuchern am Tag. Richtig knüppeldicke voll der Laden. Seit der Wende sind es nur mehr 9.000.

Haben Sie einen Lieblingsplatz im Bad?

Mein Lieblingsplatz ist das Kampfbecken: das Mehrzweckbecken. Am furchtbarsten finde ich den Turm an der Rutsche. Es gibt Eltern, die schicken ihre Kleinen ohne Schwimmflügel die Rutsche hoch. Und dann wundern sie sich, wenn die Kids nicht wieder auftauchen. Am Mehrzweckbecken kann man rumlaufen, Leute anpöbeln und sich anpöbeln lassen.

„Ick sag immer: Als Baby hab ick ins Prinzen ringeschissen, jetzt hol ick die Scheiße raus. Ich bin hier aufgewachsen und selbst so ein Ghettokid“

Pöbeln darf man – wo ist die Schamgrenze?

An sich herummanipulieren sollte man möglicherweise nicht.

Und an anderen?

Also, man kann sich oben ohne sonnen. Aber da gewisse Leute doch relativ prüde sind und wegen der Kinder, sollte man unten bekleidet sein. Wenn jetzt manche im Wasser, wie soll ich sagen, gewisse Flüssigkeiten austauschen, also der Meinung sind, sich der Fortpflanzung im kühlen Nass hingeben zu müssen, dann gehen wir schon hin und sagen: Liebe Leute, es ist Frühling, aber wäre es nicht besser, wenn ihr das zu Hause tätet? Das kapieren sie dann auch – meistens. Ein Pärchen hat sich mal auf der Tischtennisplatte ausgetobt. Und die Kinder standen daneben mit Förmchen und Buddeleimer und fanden es witzig. Da schreiten wir schon ein, auch wenn wir selber grinsen müssen.

Wie oft wird denn der Bademeister angebaggert?

Also ich nicht so oft.

Warum nicht?

Bin schüchtern. Lasse mich nicht von jedem anquatschen. Aber wir haben Kollegen, die sehen so was von Bombe aus. Nicht so wie icke. Die werden aber mehr von Schwulen angemacht.

Haben Sie sich in all den Jahren nie im Schwimmbad verliebt?

Ich hatte nur was mit Arbeitskolleginnen. Von der ersten bin ich inzwischen geschieden. Jetzt bin ich mit der zweiten verheiratet. Aber so was hält leider nicht immer lange.

Nur eine Sommersaison?

Nein, das liegt an der Schichtarbeit sechs Tage die Woche. Man lebt sich auseinander. Und an den Gerüchten: Sie hört, dass ich angebaggert werde und ich, dass sie angemacht wird. Davor ist man halt nicht gefeit.

Zum Schluss interessiert uns noch eines: Was bevorzugen Sie, Chlor- oder Salzwasser?

Gar kein Wasser.

Sie sind Rettungsschwimmer und mögen kein Wasser?

Ick hasse Wasser. Wenn meine Frau sagt, lass uns an den See fahren, frage ich, ob sie einen an der Waffel hat. Ich fahr lieber in die Berge. Der Blick geht nämlich immer zum Wasser. Das ist die totale Bademeistermacke. Du gehst am Strand spazieren, guckst ständig aufs Wasser und denkst: Braucht einer Hilfe?

Wie oft gehen Sie schwimmen?

Manche Kollegen schwimmen jeden Tag ihre 2.000 Meter. Andere gehen nur alle zwei Jahre, wenn sie zur Überprüfung müssen. Das reicht. Und ich sage jetzt nicht, dass ich das bin.

touché by ©tom, wahrheit SEITE 20

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen