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bernhard pötter über KinderTigerenten greifen an!

Der Straßenverkehr ist mörderisch. Aber die wirkliche Geißel der Menschheit ist der Bürgersteigverkehr

Jonas sah aus wie Hulk im Kleinformat. Helm auf dem Kopf, Knieschützer, Ellenbogenprotektoren, Handschuhe, Stiefel: So gepolstert hatte ich meinen Sohn in den Park mitgenommen, um ihm das Radfahren beizubringen. Ohne Stützräder. Und ohne Stoßdämpfer. Es klappte auch ganz gut. Erstaunlich schnell konnte er erstaunlich schnell fahren. Und so segelte er stolz über die Wege des Parks, bis er dann doch irgendwann stoppen musste. Bremsen? Aber wie denn? Jonas ließ die Beine auf dem Boden schleifen und rammte frontal die nächste Eiche. Das Rad flog nach links, er nach rechts. Und ich dachte: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sieht anders aus.

Doch das alles ist längst vergessen. Inzwischen lacht Jonas über die Babies, die noch Stützräder brauchen. Er zieht auf seinem Fahrrad Kreise, die ihn selbst und alle anderen schwindelig machen. Er nimmt eine Hand vom Lenker, wenn er weiß, dass ich ihm zusehe. Er geht aus dem Sattel wie Lance Armstrong, wenn er die Steigung an der Kanalbrücke hinaufschießt. In unserem kleinen Team, das jeden Morgen die Flachetappe zur Kita (drei Sprintwertungen) in Angriff nimmt, ist er „Rennfahrer Staubwolke“. Tina, im Kindersitz auf meinem Rad, mimt die Renndirektorin: Ihr Wort ist Gesetz. Und ich bin der typische Wasserträger, der Verpflegung schleppt, für die gute Laune sorgt und auf die Verkehrsschilder achtet. Mon Capitain nennt mich dafür „Rennfahrer Lahmwolke“.

Als treuer Helfer muss ich meinen Kapitän auch vor sich selbst schützen: Man sollte dummerweise immer dann bremsen, wenn man richtig toll Schwung hat. Man fährt besser nicht so nah an Erwachsenen vorbei, dass die wippende Fahne am Gepäckträger den Leuten die Brille vom Kopf haut. Und man klingelt sich nicht gnadenlos eine Gasse durch den zittrigen Ausflug des Seniorenheims.

Bisher waren die Lichthupen-Drängler auf der Autobahn („freie Fahrt für freie Bürger“) eines meiner beliebtesten Hassobjekte. Jetzt sehe ich das anders. Jetzt gehört mein eigener Sohn zu den Klingel-Dränglern auf dem Bürgersteig. Scheinbar müssen wir uns wie Schumi verhalten, wenn wir uns bewegen: Den Langsameren wegklingeln, ausbremsen, aus dem Weg rempeln.

„Das ist die Anarchie der Straße“, sagt Anna. „Überall stehen Gebote und Verbote, aber trotzdem macht jeder, was er will.“ Diese hochreglementierte Form der Herrschaftslosigkeit funktionert erstaunlich gut – mal von den tausenden Opfern abgesehen. Stellen Sie sich vor, jemand wollte einen Ort einrichten, in der potenziell tödliche Maschinen ohne zentrale Steuerung immer knapp an den Menschen vorbeirasen – ein Aufschrei wäre die Folge. Aber das gibt es ja bereits. Als Freilandversuch. Wenn wir uns morgens auf die Mittelinsel unserer Straße retten und der Verkehr um uns braust, entscheidet ein falscher Schritt über Leben und Tod.

Aber das Schlimmste ist gar nicht der Straßenverkehr. Das Schlimmste ist der Bürgersteigverkehr: Da gibt es die Tigerenten-Kamikazes aus der Preisklasse unseres Sohnes. Noch schlimmer sind allerdings Jugendliche und Junggebliebene jeden Alters, die vorzugsweise mit Mountainbikes Slalom um die Passanten fahren. Und zwar mitten durchs Gewühl auf ekelhaft sausenden Breitreifen. Der fast zweijährigen Tina haben wir beigebracht, dass sie auf der Straße nichts verloren hat, selbst wenn sie so nett „Spielstraße“ heißt. Aber wenn wir ehrlich wären, müssten wir Tina auch verbieten, auf dem Bürgersteig zu laufen.

„Anarchie ist Freiheit“, hat irgendwann mal jemand bei uns um die Ecke an die Häuserwand gesprüht. Wahrscheinlich ein Autofahrer. Denn je anarchischer die Lage auf den Bürgersteigen, desto freier die Starken und desto unfreier die Mühseligen und Kinderbeladenen.

Und selbst? Natürlich fahre ich auch auf dem Bürgersteig. „Was willst du eigentlich?“, ruft mein Bekannter Frank. „Bist auch nicht besser als die anderen!“

Doch, bin ich schon. Weil ich weiß, dass der Bürgersteig das Revier von Oma und Dackel ist, wo ich eigentlich nichts verloren habe. Und langsam um sie herumkurve, statt sie zu jagen.

Und weil ich versuche, das der nächsten Generation von Verkehrsrowdys einzubläuen. Und ihnen beizubringen, dass gerade im Bürgersteigverkehr eine falsche Bewegung in die Katastrophe führen kann. „Achtung, Jonas!“, schreie ich von weit hinten im Peloton, als Rennfahrer Staubwolke in voller Fahrt, tief über den Lenker gebeugt, auf eine Mutter mit zwei Kleinkindern zuschlingert. „Lass die Leute am Leben!“

Das schafft er gerade so. Dann bremst er, dass der Gummi qualmt und schaut zurück: „Papa, du sollst nicht immer so schreien. Das lenkt mich ab.“ Er legt seine Stirn so sehr in Falten, dass er ganz zerknautscht aussieht. Und mir der Spruch meines Fahrlehrers einfällt: „Die Knautschzone des Radfahrers ist sein Kopf.“

Fragen zu Tigerentenattacken?kolumne@taz.de

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