: Das Ende von Guantánamo
Ein Moratorium ist der erste Schritt zur Schließung des Gefangenenlagers. In Deutschland entbrennt eine Debatte über die Aufnahme der Häftlinge
AUS BERLIN BERND PICKERT
Nur Stunden nachdem Barack Obama am Dienstag in sein Amt eingeführt war, unterzeichnete der neue Präsident die erste Anordnung, die über die normale Routine nach einer Amtsübergabe hinausgeht: Obama wies die Militärstrafverfolger an, bei den im Gefangenenlager Guantánamo anhängigen Terrorprozessen vor Militärtribunalen eine 120-tägige Aussetzung zu beantragen. Damit solle der neuen Regierung die Möglichkeit gegeben werden, sich mit dem Stand der Verfahren in Ruhe vertraut zu machen und zu entscheiden, wie es weitergehen solle. Ein Richter gab daraufhin dem Antrag der Staatsanwaltschaft statt, nicht weiter gegen den Kanadier Omar Chadr zu ermitteln. Dem bei der Gefangennahme 15-Jährigen wird vorgeworfen, einen US-Soldaten in Afghanistan ermordet zu haben. Im Laufe des Tages wurden weitere Richtersprüche erwartet.
De facto ist das 120-tägige Moratorium der erste notwendige Schritt zu einer Schließung des Lagers. Die hatte Obama im Wahlkampf versprochen, und nicht nur die beiden wichtigsten Menschenrechtsorganisationen, Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW), sondern auch das Ausland drängen auf schnelle Umsetzung.
Die Verfahren der Militärjustiz, bei denen Beweise zugelassen werden, die vor keinem regulären Gericht Bestand hätten, gelten national wie international als Symbol für die Aushöhlung rechtsstaatlicher Prinzipien durch die Bush-Regierung. Mehrfach schon hatten Anwälte vor dem Obersten Gerichtshof der USA Rechte für ihre Mandanten im Lager erstritten. Stets aber war die Bush-Regierung bemüht, mit neuen Regularien die immer gleichen Unrechtmäßigkeiten erneut zu zementieren. So wurde den Gefangenen das international verbriefte Recht auf einen Haftprüfungstermin erst seit Sommer vergangenen Jahres zuerkannt.
245 Gefangene sitzen noch in Guantánamo ein. Gegen 21 von ihnen laufen zurzeit Militärprozesse, darunter fünf Verfahren im direkten Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September 2001. Der prominenteste Gefangene ist Khaled Scheich Mohammed. Der 44-jährige mutmaßliche führende Al-Qaida-Angehörige, den die 9/11-Untersuchungskommission als den Hauptdrahtzieher der Anschläge ausgemacht hat, wurde 2003 vom pakistanischen Geheimdienst festgenommen und bis 2006 in Geheimgefängnissen der CIA festgehalten, gefoltert und vernommen. Gegen ihn wie gegen bislang vier weitere Angeklagte dürfte die Anklage die Todesstrafe beantragen.
Obama hat vor, die laufenden Verfahren gegen diejenigen Gefangenen, gegen die gerichtsverwendbare Beweise vorliegen, an regulären Strafgerichten in den USA weiterführen zu lassen, und die Sondergerichtsbarkeit, die die Bush-Regierung für diese sogenannten feindlichen Kämpfer geschaffen hatte, abzuschaffen. Unklar ist allerdings, wie diese Verfahren dann weiterlaufen sollen. Denn ein großer Teil der Anklage basiert auf Beweisen, die vor regulären US-Gerichten nicht zulässig sind. Unklar ist auch noch immer, was mit den Gefangenen geschehen soll, die vom – mit Verteidigungsminister Robert Gates weiterhin republikanisch geführten – Pentagon als Gefahr für die USA eingestuft werden, ohne dass man ihnen konkrete Vergehen vorwerfen könnte. Mindestens 50 bis 60 dieser Gefangenen können nicht in ihre Heimatländer zurück, ohne dort Gefahren ausgesetzt zu werden. Auch Obama zeigt sich bislang wenig gewillt, diesen Menschen Aufenthalt zu gestatten. Und so werden, zunächst von den Anwälten der Gefangenen, verdeckt aber längst auch über Regierungskanäle, Drittländer gesucht, die zur Aufnahme dieser dann ehemaligen Gefangenen bereit wären.
Prompt ist nach Obamas Anordnung aus der Nacht von Dienstag zu Mittwoch auch in Deutschland die Debatte über die Aufnahme von Gefangenen neu entbrannt. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, er kenne keinen Grund, warum jemand, der „zu gefährlich für Amerika“ sei, von einem EU-Land aufgenommen werden müsste. Die Verantwortung für die Gefangenen liege in den USA, und wenn sie nach der Freilassung nicht in ihre Heimatländer zurück könnten, dann müssten sie dort bleiben. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) betont, die lang geforderte Schließung Guantánamos dürfe nicht daran scheitern, dass sich kein Aufnahmeort finde. Ähnlich äußerte sich auch der Cheftransatlantiker der Bundesregierung, Karsten Voigt (SPD).
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