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Moskauer Exempel

Es geht nicht nur um Steuerhinterziehung – sondern um die unumschränkte Macht des Kreml

AUS MOSKAU KLAUS-HELGE DONATH

Gestern wurde vor dem Meschtschanski-Gericht in Moskau der Prozess gegen den Ölmagnaten Michail Chodorkowksi eröffnet. Mit auf der Anklagebank sitzt Platon Lebedjew, Präsident der Menatep-Gruppe, die bislang noch Hauptaktionär des Yukos-Konzerns ist. Lebedew war für die Finanzkonstruktionen des Unternehmens verantwortlich und befindet sich seit Juli vergangenen Jahres in Haft. 18 Anwälte sind an dem Prozess beteiligt. Er findet zwar nicht hinter verschlossenen Türen statt – doch für die Auswahl der Besucher sorgt der begrenzte Platz im Saal.

Die Staatsanwaltschaft legt Chodorkowski Betrug und Steuerhinterziehung in besonders schwerem Fall zur Last. Sollte der 40-Jährige verurteilt werden, drohen ihm bis zu zehn Jahre Lagerhaft. Mit Verständnis kann Chodorkowski nicht rechnen –große Teile der Öffentlichkeit heißen das Vorgehen des Kreml gegen den vermeintlichen „Räuberbaron“ gut.

Ein wichtiger Punkt der Anklage ist der Vorwurf, Yukos habe über eigene Firmenkonstrukte das Kombinat Chibinski erworben und eine Investitionsgarantie von 280 Millionen Dollar abgegeben, die von der Menatep mit einer Bankgarantie versehen wurde. Das Geld erreichte indes nie den Adressaten. Die Erzeugnisse des Kombinats wurden daraufhin zu Niedrigpreisen an Tochterfirmen veräußert, die sie dann zu Marktpreisen weiterverkauften. Um mindestens 20 Millionen Dollar Steuern sei der Staat geprellt worden. Derartiges Finanzgebaren war in der wilden Privatisierungsphase allerdings gang und gäbe. Chodorkowski und seine Mitstreiter sind auf der Suche nach den Filetstücken des Volkseigentums vermutlich nicht ruchloser vorgegangen als andere Oligarchen.

Heute kontrollieren nach Angaben der Weltbank 22 Oligarchen und assoziierte Gruppen ein Drittel der gesamten russischen Wirtschaft. Ohne die schützende Hand des Kreml wäre dies nicht möglich gewesen. Das selektive Vorgehen gegen den Yukos-Chef warf daher Zweifel auf, ob es dem Kreml nicht um mehr gehe, als illegale Privatisierungsentscheidungen zu korrigieren und die Gewinnler einer „verdienten Strafe“ zuzuführen.

Chodorkowski, dessen Unternehmen zum Zeitpunkt der Kreml-Attacke zum finanzkräftigsten Konzern mit einen Marktwert von 35 Milliarden Dollar aufgestiegen war, meldete politische Ambitionen an. Er unterstützte die Opposition gegen die Gleichschaltungspolitik und die „gelenkte Demokratie“ des Exspions Putin und finanzierte eine Reihe von Parteien und Organisationen. Es wäre falsch, den studierten Chemiker und Komsomol-Aktivisten zu einem Philanthropen zu stilisieren. Im Unterschied zur politischen Elite und den meisten Superreichen verfolgte Chodorkowski in den letzten Jahren indes die Vision eines Russland als offene und zivilere Gesellschaft.

Westliche Konzerne lobten das Geschäftsgebaren für seine Transparenz, die sich deutlich vom Nepotismus des staatlichen Gasmonopolisten Gasprom abhob. Die Stiftung Offenes Russland hatte sich die Entwicklung der Zivilgesellschaft zur Aufgabe gemacht, und mit der Russischen Humanistischen Universität erstand der Oligarch einen Gegenpol zur linientreuen Staatswissenschaft. All das hätte die gängige Verquickung von Politik und Geschäft, Kreml und Kapital langfristig bedrohen können.

Die Botschaft des Prozesses ist denn auch die an die Wirtschaftsbosse gerichtete Warnung davor, Anspruch auf eine eigenständige politische Rolle zu erheben. Im Interesse der eigenen Bereicherung und Machtsicherung hält die hypertrophe Bürokratie an der Erpressbarkeit der Wirtschaft fest. Noch kennt Russland kein anderes Prinzip des Regierens. Gelingt es Moskau nicht, sich davon zu befreien, wird es den Anschluss an die Weltgesellschaft endgültig verpassen. Dies ist die eigentliche, alarmierende Botschaft des Verfahrens. Einen Tag vor Prozessbeginn wurde auf Geheiß des Kreml der einzige liberale Richter aus dem Kollegium entfernt. Der Prozess wurde nach seinem Auftakt vertagt, weil ein Anwalt Chodorkowskis wegen einer Augenoperation nicht teilnehmen konnte.

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