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„Matti“ – Feindbild der Nazis

Vor zwei Jahren saß Matthias Z. unschuldig im Knast. Neonazis wollten ihn anhand eines Fotos als Schläger erkannt haben. Es hätte jeden Linken treffen können, sagt „Matti“. Ihn trifft es immer noch

VON JOHANNES RADKE

Matthias Z. ist ein unauffälliger junger Mann. Kurze dunkel-blonde Haare, schmale Brille, strahlend graublaue Augen. Aufgaben hat er viele: Er ist Journalist, Gewerkschafter, Schüler und Antifaschist. Viele kennen Matthias Z. einfach als „Matti“. Unter diesem Namen hat er es – unfreiwillig – weit über Berlin hinaus zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Vor zwei Jahren saß der damals 21-Jährige insgesamt 101 Tage unschuldig im Gefängnis.

101 Tage, das sind 2.424 Stunden oder 145.440 Minuten oder 8.726.400 Sekunden, die er nicht vergessen wird. 23 Stunden Einzelhaft jeden Tag. Einfach nur, weil ihn zwei stadtbekannte Neonazis fälschlicherweise beschuldigten, er hätte sie verprügelt – und weil das Berliner Landeskriminalamt den fragwürdigen Aussagen mehr Glauben schenkte als allen anderen Beweisen, die für seine Unschuld sprachen. Erst ein Jahr nach seiner Festnahme wurde er vor Gericht freigesprochen.

Es ist ein kalter Wintermorgen, Matthias Z. sitzt in einem Kreuzberger Kaffee und trinkt Cappuccino. Inzwischen, gut ein Jahr nach dem Freispruch, hat er in sein normales Leben zurückgefunden. Aber es bleibt das beklemmende Gefühl, dass es im Grunde jeden hätte treffen können, der sich offen gegen Neonazis engagiert.

Z. erzählt mit ruhiger Stimme, seine Worte wählt er mit Bedacht. Wenn er über das redet, was ihm vor zwei Jahren passiert ist, verdüstert sich kaum merklich seine Miene. „Damit, dass Neonazis mich bedrohen oder direkt angreifen, habe ich schon früh gelernt zu leben. Aber dass die Polizei sich für deren Zwecke einspannen lässt, ist echt ein Skandal.“ Er sagt das, ohne verbittert zu klingen, eher enttäuscht.

An den 12. Dezember 2006 erinnert er sich noch genau. Es ist der Tag, an dem sein Leben sich von einem Moment auf den anderen völlig verändert hat. „Es war sechs Uhr morgens, als plötzlich bei unserer WG Sturm geklingelt wurde“, erzählt er. Als „Matti“ die Tür öffnet, stehen acht Polizeibeamte mit einem Rammbock im Hausflur. Sie drücken ihn sofort an die Wand, legen ihm Handschellen an; dann durchwühlen sie sein Zimmer.

„Versuchter Totschlag“

Als er den Haftbefehl, ausgestellt auf „versuchten Totschlag“, liest, muss Matthias Z. zuerst noch lachen. „Der Vorwurf war ja so absurd, dass ich dachte, in zwei Stunden wäre alles geklärt und ich könnte wieder nach Hause.“ Schließlich war er noch nie in seinem Leben mit Gewalttaten in Verbindung gebracht worden. Erst als er Stunden später von der Gefangenensammelstelle in Tempelhof in die Justizvollzugsanstalt Moabit gebracht wird, begreift der 21-Jährige, dass die Polizei es wirklich ernst meint.

Angefangen hatte alles am 29. November 2006. Am frühen Abend werden die beiden Rechtsextremisten Stefanie P. und Sebastian Z. von drei Vermummten im S-Bahnhof Lichtenberg mit Schlagstöcken und Tränengas angegriffen und leicht verletzt. Da beide als Angehörige der rechtsextremen Szene bekannt sind und auch schon für Gewalttaten verurteilt wurden, schaltet sich der Staatsschutz ein. Einige Stunden später präsentieren die Geschädigten der Polizei ein Porträtfoto von „Matti“, aufgenommen am Rande eines Nazi-Aufmarsches, den er als Journalist begleitet hat. Die beiden Neonazis sagen aus, dass sie ihn trotz Vermummung unter den Angreifern erkannt hätten. Tagelang wird daraufhin „Mattis“ Wohnhaus observiert; sein Telefon abgehört. Zwei Wochen später schlägt die Polizei zu.

Obwohl an keinem der fast 50 Beweismittel aus „Mattis“ Wohnung DNA-Spuren der Geschädigten gefunden werden, besteht die Staatsanwaltschaft darauf, ihn wegen Verdunkelungs- und Fluchtgefahr in Untersuchungshaft zu behalten. Das Problem ist, dass Matti für die Tatzeit kein Alibi hat. „Zur angegebenen Tatzeit war ich alleine zu Hause, das war wohl mein Fehler“, sagt er heute.

Dass die beiden Zeugen das von ihnen vorgelegte Foto von Matthias Z. ganz offensichtlich aus ihrer privaten Anti-Antifa-Kartei hervorgeholt haben, interessiert die Staatsschützer ebenso wenig wie die Tatsache, dass Stefanie P. in einem anderen Gerichtsverfahren offensichtlich eine falsche Zeugenaussage gemacht hatte. Besonders absurd: Der Beamte, der P. vernommen hat, wertete ihre Darstellung zu einem anderen Fall, in dem sie mehrere Linke erkannt haben wollte, als unglaubwürdig. Die Anschuldigungen gegen Matti aus derselben Vernehmung ordnete er aber als glaubhaft ein und schrieb keinen Vermerk in die Akte. „Es ist nicht nachvollziehbar, wieso ein so wichtiges Beweismittel uns als Anwälten verschwiegen wurde“, kommentiert „Mattis“ Anwalt Daniel Wölky diesen Vorgang.

Dubiose Zeugen

Wären die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen in der Akte korrekt vermerkt worden, hätte Matti wahrscheinlich sofort aus der Haft entlassen werden müssen, so die Einschätzung von Wölky. Doch selbst als bekannt wird, dass Matthias Z. in einem weiteren Prozess als Belastungszeuge gegen Sebastian Z. auftreten sollte, werden die Ermittlungsbehörden nicht stutzig.

Mit Neonazis kam „Matti“ schon als Jugendlicher in Kontakt. Aufgewachsen ist er in Treptow, ein Bezirk, der lange für seine rechtsextreme Szene berüchtigt war. „An meiner Schule gab es sehr viele Neonazis. Fast jeden Tag kam es zu Pöbeleien und oft auch Übergriffen“, erinnert er sich. Er fing an, sich für Politik zu interessieren und machte mit bei einer antifaschistischen Gruppe. Nach dem Realschulabschluss kam eine Ausbildung als Kaufmann. Doch glücklich war er mit diesem Beruf nicht. Er engagierte sich in der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di: für soziale Gerechtigkeit, gegen Nazis und Rassismus. Schon bald wählten seine Gewerkschafts-Kollegen ihn zum stellvertretenden Landesbezirksfachbereichsvorstand.

Knast statt Abitur

2004 begann „Matti“ für ReachOut zu arbeiten, eine Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt. Die Neonazis begegneten ihm jetzt öfter im Gericht, wohin er die Opfer ihrer Gewalttaten begleitete. Im Herbst 2006 meldete er sich bei einer Abendschule an. Er will sein Abitur nachholen, danach studieren. Doch ein paar Wochen später sitzt Matthias Z. in einer sieben Quadratmeter kleinen Einzelzelle in Knast.

Alleine ist „Matti“ trotzdem nicht. Seine Freunde tun alles, was in ihrer Macht steht, um ihm zu helfen. Mit Infoveranstaltungen, Plakaten, Konzerten und Kundgebungen machen sie auf seine Situation aufmerksam. Die Medien beginnen sich für den Fall zu interessieren. Auch die Berliner Streetart- und Kulturszene beteiligt sich. In vielen Städten sieht man jetzt das flammende Herz im Comic-Stil mit dem Spruchband „Freiheit für Matti“ auf Postern und Stickern. Es wird zum Symbol der Kampagne.

Plötzlich bekommt Matti jeden Tag rund 15 Briefe aus ganz Europa. Politiker von Linkspartei und den Grünen sowie die Gewerkschaften fordern seine Freilassung. Seine Mutter besucht ihn zweimal im Monat; sie geht selbst auf Benefiz-Konzerte und unterstützt ihren Sohn, so gut sie kann.

Die vielen Aktionen helfen Matthias Z., in seiner Zelle nicht den Mut zu verlieren. „Ohne die Soliarbeit wäre die Situation für mich um einiges schwieriger gewesen. Es hat mir sehr viel Kraft gegeben zu wissen, dass da draußen so viele Leute sind, die hinter mir stehen.“ Den ganzen Tag liest er Briefe und Bücher, schreibt viel oder macht Sport, so gut das in der winzigen Zelle möglich ist. Als nach intensiven Bemühungen seiner Anwälte Ende März 2007 der Haftbefehl ausgesetzt wird, sammelt die Soligruppe innerhalb weniger Stunden die benötigen 10.000 Euro Kaution zusammen, damit er nach Hause kann.

Sofort nach der Entlassung sei jetzt sein erster Gedanke gewesen, weiterzumachen, sich nicht in ein Loch fallen lassen, bloß nicht den Neonazis die Genugtuung geben, ihn fertig gemacht zu haben, erinnert sich Matthias Z. Er steigt als Nachzügler in die Abendschule ein, die eigentlich im Januar starten sollte, stürzt sich ins Lernen. Doch nach einigen Wochen muss er einsehen, dass er die letzten Monate nicht ohne Weiteres beiseite schieben kann. „Ich habe gemerkt, dass man nach so langer Zeit in Einzelhaft nicht einfach wieder in sein normales Leben einsteigen kann.“

Elf Euro Entschädigung

Er bricht die Schule ab und fängt erst im folgenden Jahr wieder an. Eine Entschuldigung von der Polizei hat er bis heute nicht bekommen. Als Entschädigung für seinen Gefängnisaufenthalt gab es gerade elf Euro pro Tag.

Matthias Z. hat gegen den Beamten, der die unglaubwürdige Aussage von Stefanie P. aus der vorangegangenen Vernehmung nicht in der Akte zu „Mattis“ Fall notiert hat, Strafanzeige wegen Freiheitsberaubung gestellt. „Das Verfahren wurde aber kurze Zeit später einfach eingestellt“, erzählt er kopfschüttelnd. Dann lächelt er wieder. „Letztendlich hat die ganze Geschichte doch etwas Gutes für mich und andere, die sich gegen Neonazis und Rassismus engagieren“, sagt er und nimmt den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse. „In Zukunft müssen sich Polizei und Staatsschutz zweimal überlegen, ob sie sich wieder von Neonazis mit frei erfunden Geschichten instrumentalisieren lassen.“

Für „Matti“ ist klar, dass er sich auch in Zukunft weiter gegen Neonazis stark machen wird. Neben der Abendschule arbeitet er als freier Journalist und Fotograf zum Thema Rechtsextremismus. Erst vor wenigen Wochen war er mit anderen Journalisten in Lichtenberg, um über ein Neonazi-Treffen zu berichten. Plötzlich kam eine Gruppe vermummter Rechtsextremisten auf ihn zu. „Matti, verpiss dich! Scheiß Judenpresse!“, riefen sie ihm entgegen. Bevor die Gruppe angreifen konnte, stoppte sie die Polizei. Dieses Mal nahmen die Beamten eine Anzeige gegen die Richtigen auf.

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